Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
angestrahlt von m äc h tigen Scheinwer f ern. Es war taghell, die Menge tobte. Ein roter Teppich führte zum Eingang, aber die Glastür war geschlossen und wurde von Sicherheit s leuten in schwarzen Anzügen bewacht. Mit verschränkten A r m en standen sie da wie Hare m s wächter. Die Veranstaltung hatte begonnen, die Pro m inenz war bereits eingetroffen. Die Menschen auf der Straße warteten auf das Ende der Vorstellung, wenn sich die Berüh m theiten aber m als zeigen würden, auf d e m Weg zur Pre m ierenfeier in einem anderen Teil der Innenstadt.
    Chiara m achte gar nicht erst den Versuch, durch den Haupteingang zu gehen. Sie war s i cher, dass m an sie einlassen würde – schließlich war sie der Star des Abends, ganz gleich, wen Masken über den Teppich geführt hatte –  , aber sie wollte sich nicht dem Geschrei der Menge ausset z en. Sie m usste unau ff ällig ins Innere gelangen. Masken dur f t e nicht erfahren, dass sie hier war.
    Sie kannte den Seiteneingang von früheren Anlässen. Auch heute bereitete es ihr kei n e Proble m e, sich an dem Posten vorbeizu m ogeln, der d ort alle Lieferanten gründlich unter die Lupe nah m . Er e r kannte sie sofort, und wie es schien, war er nicht darü b er infor m iert, wer d a s Gebäude bereits durch den Haupteingang betreten hatte. Ein wenig irritiert betracht e te er ihr erblondetes Haar, grinste dann und nickte wissend, als sie ihm e t was über aktuelle Dreharbeiten v o rschwindelte. Es war n i cht weiter ungewöhnlich, dass Schauspieler F risuren oder Haarfarben wechselten, und wer mehr als ein m al bei Gelegenheiten wie die s er Wache gestanden h a tte, wusste das. Der Posten war ein alter Fuchs in diesem Geschäft oder fühlte sich zu m i ndest so. »Ich würd’s genauso m achen«, sagte er m it Verschwörer m iene. »Dem ganzen Trubel aus dem Weg gehen, m eine ich. Die Leute führen sich auf wie klei n e Kinder, was ? «
    Sie nickte lächelnd.
    »Darf ich Ihren Mantel neh m en, gnädige Frau ? «
    Das war eine verzwic k te Sache. D i e W affe steckte in einer der Taschen. Ihr K l eid war zu eng, um den Revolver unauffällig darunter zu ver s tauen, und sie h atte keine Handtasche dabei. Andererseits würde sie in i h rem Mantel in m itten der Galagä s t e erst r e cht Au f sehen e r regen. I h r Kleid m o c hte noch als ange m essen durchgehen, der Mantel dagegen besti mm t nicht. Sie dankte dem Mann, ließ aber nicht zu, dass er ihr das Kleidungsstück von den Schultern streifte, sondern zog es se lbst a u s und f altete es zwei m al – was ungewöhnlich war, den Revolver aber ho ff entlich s o dick u m polst e rte, da s s der Po s t en ihn nicht be m erkte.
    Sie wollte gerade gehen, als er sa g t e: » W arten S i e e i nen  Mo m ent.«
    Hatte er d i e W a ffe erta s t et? Langsam drehte sie sich zu ihm um.
    Er lächelte und hielt ihr ein Stück Papier entgegen.
    »Hier, neh m en Sie die. Eine E i nladung. S i e haben wahrscheinlich keine dabei, oder?«
    Sie griff danach und schob sie in die seitlich eingearbeitete Tasche ihres Kleides. »Brauche ich die denn ? «
    »Manch m al sind die Angestell t en ein wenig übereifrig. Es gibt Kontrollen, wissen Sie. Auf Anordnung von oben.«
    Maskens Anordnun g ? Ver m utlich. Er war vorsic h t ig geworden.
    Der Film hatte noch nicht begonnen, die Zuschauer tum m elten sich beim Cha m pagnerempfang auf den Stufen. Sie sah Dutzende bekannte Ges i c h ter, aber alle schienen ihr heute ein wenig fremder als früher. Und noch etwas be m erkte sie: Auf d e m W eg h i er h er hatte s i e befürchtet, dass so etwas wie Neid oder W ehmut in ihr aufkom m en würde, doch sie spürte nichts davon. Vielleicht war es doch m öglich, dass sie über ihren Schatten sprang. Doppelgänger m ochten als Egoisten geboren werden, aber wo m öglich l e rnten a uch sie d azu. Chi ar as e i nzige Gesellschaft in den vergangenen drei Monaten war Nette gewesen: kein W under, dass sie sich zwischen diesen vielen Menschen heute un w ohl und deplatziert fühlte.
    Eine junge Frau strahlte sie an, als s i e s i e erkannte – und runzelte dann die Stirn, nic k te ihr fahrig zu und wandte sich ab.
    Sie ist hier!, durchfuhr es Chiara. Die andere ist hi er!
    Sie m usste etwas unterneh m en, bevor es sich heru m sprach. Bevor je m and m it dem Finger auf sie zeigte. W e m würde m an glauben? D e r herausgeputzten Chiara,
    die in Begleitung Maskens und Elohi m s erschienen war – oder ihr, m it ihrem schlec h t blondierten Haar und dem

Weitere Kostenlose Bücher