Das zweite Gesicht
gehetzten Ausdruck, der sich während des letzten Viert e lja h rs in ih r e Züge geätzt hatte?
Aber wo steckte die andere? Und wo war Masken?
Sie e n tdeckte kei n en v o n beiden. Gut m öglich, dass si e sich bereits m it Eloh i m auf i h r Plätze begeben hatten. Das m achte es einfacher. T rotzdem war es ratsa m , sich zu verstecken, bis alle saßen und das Licht gelöscht wurde. Im Dunkeln würde sie keine Auf m erksa m keit erregen.
Sie ver s tec k te sich in einer Kabine der Da m entoilette, bis ein Gong den Einlass verkündete. Chiara gab ihnen ein paar Minuten für das übliche Geschiebe und Gedränge – als hätte irgendwer ernsthaft um seinen Platz fürchten müssen –, dann ging sie hinaus, wartete, bis sich di e Treppe end g ültig g eleert hatte und trat in den Vorführsaal.
Die Reihen waren n a h ezu voll s tändig gefüllt, nur hier und da gab es vereinzelt leere Plätze. Sie wählte einen in den oberen Reihen, nahe beim Ausgang. Sechs Männer und Frauen m ussten aufstehen, um sie im Halbdunkel durchzulassen, aber nie m and schenkte ihr Beachtung oder erkannte sie.
Unten im Orchestergraben spielten die Musiker sich war m , ungeordnetes Fiedeln und Flöten wie das Gezwitscher unsichtbarer Vögel. Je m and trat auf die Bühne, ein Blatt Papier in der Hand, lächelte in die Runde. Chiara kannte ihn nicht.
Sie reckte den Hals und hielt Ausschau nach Masken. Gewöhnlich saßen die Ehrengäste in den er s t en Reihen, um nach ihrem Auftritt auf der Bühne rasch wieder zu ihren Plätzen zu gelangen. Der Saal war groß, und es fiel Chiara sc hw er, im schwachen Licht je m a nden zu erkennen. Sie m usste näher heran. Mit ein paar ge m u r m elten Entschuldigungen stand sie wieder auf und schob sich an den unwillig P l atz m achenden Zuschauern vorbei zum Gang.
Mittlerweile hat t e der Mann auf der Bühne ein paar einführende W orte gesproc h en, und das Licht erlosch vollständig. Das Orchester stimmte eine beschwingte Melodie an, während auf der Leinwand ein Bild au ff l ackerte, das o ff enbar nicht z u m eigentli c hen Film gehörte. W ährend Chiara sich im Dunkeln langsam den Gang hinunter bewegte, in Richtung der ersten Reihe, erschien a u f der Lei n wand eine lebhafte Straßenszene, irgendwo in Berlin.
Dann kam Chiara ins Bild, gekleidet in Mantel und Hut, ausstaffiert wie sich das ge m e ine Publikum einen Fil m star vorstellt, viel zu stark gesch m inkt und m it Schuhen, auf denen sie kaum laufen konnte.
Chiara erin n erte sich daran, wie die s e Bilder entstanden waren. Das Ganze war nicht m ehr als ein Spaß gewesen, und sie konnte sich nicht erinnern, dass Masken d a m it zu tun gehabt hatte – er m u sste die Aufnah m en von ein e m anderen Produzenten gekauft haben. Sie zeigten Chiara, wie sie außer Atem und m it gespielter Nervosität durch Berlin eilte, erst zu Fuß, dann per Automobil, und schließlich, als der W agen m it qual m end e m Motor liegen blieb, in einer Straßenbahn. Der W itz dabei war, dass alles den Anschein erwecken sol l te, al s spi e lten s i ch di e se Szenen in d er Realität ab, in genau diesem Augenblick, während alle hier im K i no saßen und auf Chiaras Ankunft warteten. Der Produzent hatte ihr da m als erklärt, was er vorhatte: Im selben Mo m ent, wenn Chiara im Film das Pre m ierenkino erreic ht e, würden im Saal die Lichter auffl a m m en, und sie würde in persona die Bühne betreten, leicht zerzaust und schnellat m ig, sich für ihre Verspätung entschuldigen und irgendwas m u r m eln in der Art von:
»Sie haben ja gesehen, was d r außen los war.« Ein netter Auftakt für einen s p ektakulären A b end und, h o ffentlich, eine Fl u t begei s terter Kriti k en in den Zeitungen der nächsten Tage.
Sie at m ete tief durch, während sie sich unter den Augen ihres m eterhohen Abbildes der vorderen Reihe näherte. Ja, da vorn war Masken, und bei ihm waren Elohi m , ihre Sekretärin und Ursi – kichernd wie üblich –, Arthur Her m ann und ein paar andere, die sie kannte. S i e hatte in den vergangenen Monaten so viel über diese Leute nachgedacht und gesprochen, dass es ihr jetzt beinahe schien, als wären sie F i guren einer Fiktion, eines Fil m s oder Ro m ans, die unverhofft zum Leben erwacht waren.
Alle blickten zur Lein w and hinauf, nur Ursi beugte sich über den leeren Platz an M a skens Seite zu ihm hinüber und flüsterte etwas. Seinem höflichen, aber desinteres s i erten Läc h eln nach war es nichts G e istreic h
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