Das zweite Gesicht
Dingen auskennen, aber Ko m parsen sind im Filmgeschäft der letzte Dreck. Fritz Lang und Joe May und Lubitsch und wie sie alle heißen … sie lassen Ko m parsen zu hunderten und tausenden in ihre Studios karren, für einen Teller Erbsensuppe und ein paar Pfennige am Tag, und dann scheuchen sie sie wie Vieh durch die Kulissen. W a s glauben S i e, w er d as f re i w il lig m acht? Nur die Är m sten der Ar m en, Arbeitslose und Leute ohne Dach über dem Kopf. Und wer von denen, glauben Sie, kann sich wohl teure Juristen leisten, um Erfolg gegen einen Felix Masken zu haben? Nicht einer. Von über zweihundert Verle t zten und vierzig Toten – nicht ein ei n ziger!«
»Ich wusste nicht, dass es so schlimm war.«
» W ar? Von wegen, schlimm ist es im m er noch. Die Materialschlachten in den Ateliers von Te m p elhof und Babelsberg neh m en ke i n Ende, einer versucht den anderen an Bo m bast und Opulenz zu übertreffen. Und s c hauen Sie sich die Fil m e an – über d i e E rgebnisse kann m an sich nicht beklagen, ohne Zweifel. Eine Menge guter Fil m e entstehen auf diese Art und W eise. Und erst die Gewinne … Je größer, je m o nu m entaler, desto erfolgreicher. Glauben Sie m i r, die Opfer, die Medusa ge f ordert hat, waren in de r Branche eine W oche später verge s sen. Dann nä m lich ka m en die neuen Zahlen, und in den Ateliers gab es wieder strahlende Gesichter.«
»Der Film ist nie f e r tig g est e llt wor d en, ode r ? «
»Nein . Da s Fe ue r i s t i n d e r z w eite n D rehw oc h e a u s- gebrochen . De r P r oz e s s ha t einig e Monat e gedauert , un d am End e ordnet e de r Richte r an , a u s R ü c ks ic h t au f di e T o ten un d ihr e Hinterblieben e n da s gesa m t e belic h tet e Materia l zu vernichten . Sinnigerwe i s e i s t e s v e rbr an n t w o r d en , wa s a b er nac h de r lange n Zei t nu r noc h fü r ein e klein e Randnotiz getaug t hat . Di e Z e i t de r große n Schla g zeile n wa r vorüber. M a s ke n ha t d a s s e h r ge s c hi c k t g e h a ndh a b t . «
» W ar Jula während des Brandes anwesend ? «
»Angeblich keiner der Hauptd a rsteller«, sagte Henriette kopfschüttelnd. »Masken hat g r oßes Glück gehabt. Jula hätte ihn in Grund und Boden prozessiert, wäre ihr auch nur ein Fingernagel abgebrochen.«
Chiara m usterte sie eingehend. »Warum wollen Sie eigentlich ein Buch über j e m and e n schreiben, den Sie o ff ensichtli c h überhaupt nicht m ögen?«
»Und warum stellen Si e so viele Fragen über je m anden, den Sie angeblich gehasst haben ? «
Die beide Frauen starrten ei n an d er an. Jula, dachte Chiara, im m er wieder Jula. Sie hatte ih r e Berüh m theit verdient, wenn sie sogar über den Tod hinaus das Handeln anderer Menschen bestimmte.
Um das Th e m a zu wechseln, fragte sie: »Um was ging es in Medusa?«
»Noch eine von Maske n s über s teigerten A m bitionen. Sie kennen die griechischen Mythologie, die Sage von der Medusa? Wer sie ansieht, er s t arrt zu Stein. Nach all d en Gole m s, G e istern und Kunst m ens c hen, die unsere Kinos bevölkern, sollte dies das fil m ischste a ll e r Gespenster werden: Ei n e Kreat u r, die allein durch ihren Anblick tötet! Kein Va m p ir steigt von der Leinwand und saugt den Zuschauern das Blut aus. D e r Schrecken, den er erzeugt, ist passiv, sozusagen aus zweiter Hand. Aber die Medusa … verstehen Sie, der Zuschauer s i eht sie! Er blickt i h r geradewegs ins Gesicht, und d a m it läuft er theoretisch Gefahr, selbst dort unten im Kinosessel zu Stein zu werden. Konkreter kann die Bedrohung durch ein Fil m phantom nicht sein.« Henriette schnippte Asche von der Zigarillospitze. »Das war typisch Masken. Immer die anderen übertreffen, wenn nic h t durch Qualität, dann eben durch I m posanz. Und wenn das nicht funktioniert, m uss ein Skandal her.«
»Ich weiß n i cht v i el ü b er die Medusa. Ich hab m al ein Bild gesehen, das ist alles.«
»Sie war eine der drei Gorgonen, mythische Kreaturen, m it denen es der Held Perseus zu tun bekommt. Medusa war die jüngste und schönste d e r drei Schwestern – bis Poseidon sie im T e m p e l der Athene vergewaltigt und sie sich in ein Monster verwandelt. Statt Haaren wachsen Schlangen aus ihrem Schädel, u n d wer immer ihr ins Gesicht blickt, er s t arrt zu Stei n . Masken hat die Geschichte in die Gegenwart verlegt, in ein – und jetzt halten Sie sich fest – in ein Nobelbordell! Vielleicht, weil er sich da m it am besten auskennt, wer
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