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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie an, Mu m i en in den Schaukästen ei n es Museu m s, einbalsa m iert vom Ruhm und dem Kunstlicht der Scheinwerfer.
    Vom nächsten Telefon aus bestellte sie einen W a gen. Masken stand neben ihr, als sie einhing. »Ich bin
    gespannt, w ann Sie anfangen werden, m i ch zu mögen.«
    Wenn Jula von den Toten auf e rsteht, dac h te sie und erinnerte sich schaudernd an den Anblick ihrer S chwester als Lady M adeli n e, den Verstand v o m Irrsinn zerfressen, das Haar zerrauft, die F ingerkuppen zerrissen vom Holz des Sargdeckels.
    »Auf W i ed e rsehen«, sagte sie för m lich und ging.
     
     
    *
     
     
    Die Dreharbeiten begannen an einem Freitag. Das war ungewöhnlich, aber Masken hatte allen bereits im Voraus einen Bonus gezahlt, da m it sie das Wochenende durcharbeiteten.

Jetzt, da es endlich losg i ng, hatte sich Julas Aufregung ein wenig gelegt. E i ne stoische R uhe be m ächtigte sich ihrer, die mehr noch als sie selbst Masken zu überraschen schien. W e nn er erwartet h a tte, am ersten Drehtag ein Nervenbündel vor sich zu haben, so hatte er sich getäuscht.
    Sie wurde in ihrer Garderobe gesch m inkt, einem fensterlosen Raum im oberen Stockwerk, gleich unter dem Glasatelier auf dem Dach. Der S piegel, vor dem die Maskenbildnerin sie platzie r te, war groß und durch einen Kreis aus Glühbirnen erhellt; a l s sie hineinsah, kam es ihr vor, als betrachte sie ein Ge m älde in einem goldenen Rah m en. Je weit e r d a s Sch m inken voransc hr itt, de s t o fr e m der wurde ihr das Gesicht gegenüber. Die Maskenbildnerin erklärte ihr geduldig, welche Farben von der Ka m era auf welche W eise wahrgenom m e n wurden. Chiara erfuhr, dass die Lippen beim Film nie m als rot gesch m inkt wurden, denn in Schwarzweiß würde das aussehen, als hätte m an ihren Mund m it Schuhcre m e nachgezogen. Mehr Weiß war nötig als sonst, und bestim m t e Farben waren völlig tabu. Mehre r e Schichten aus Sch m inke bedeckten ihre Gesicht wie ei n e Maske, und als sie endlich fertig war, kam es ihr vor, als säße ihr eine lebende Version jener Jula gegenüber, die sie in den fertigen Szenen gesehen h a tte. Dabei war dies im Grunde weder Jula noch sie selbst, sondern Lady Madeline Usher, und das gab ihrem Selbstbewusstsein einen solchen Schub, dass sie sich einen Mo m ent lang alles zutraute. Nicht sie würde vor die Ka m era treten, sondern Madeline, und zum ersten Mal spürte sie etw a s von der viel beschworenen Faszin a tion des Fil m e m achens. W ar sie e i ne Schauspielerin? Ganz bestim m t nicht. Und doch war sie in eine neue Rolle geschlüpft, ohne sich dessen völlig bewusst zu sein. Und es war nicht allein das Kostü m , das  eine andere aus ihr m achte.
    S i e war gerade fer ti g, a l s es an der Garderobentür klopfte. Herein kam ein groß e r, hagerer Mann in einem dunklen Gehrock, m it Augen, die traurig wirkten, selbst als er lächelte. Sie erkannte ihn a u s seiner T i telr o lle im Müden Tod und begriff zugleich, dass nicht alles, was der Film abbildete, Puder, Sch m inke und Spiel waren.
    »Bernhard Götzke«, stellte er sich v or, grat u lierte ihr zu ihrer Verwandlung und drückte fast im selben Ate m zug sein Beileid über den Tod ihr e r Schwester a u s. Er w a r freundlich, auf eine altmod i sche Art lie b enswürdig u n d gab ihr auf d e m Weg nach oben eine Reihe woh l m einender Ratschläge, un t er anderem den, sich nicht von Maskens herrischem Gehabe während der Dreharbeiten beeindrucken zu lassen. Regisseure wären eben so, beim Theater wäre es m anch m al noch schlim m er, und im Grunde sei auch dieses Auftreten nur eine Form von Maskerade; die W a hrheit sei, sagte Götzke, dass die m eisten Regisseure ihre Schauspieler beneideten, weil diese in den Kulissen ein n e ues Ich überst r eifen konnten. Deshalb versuchten sie, es ihnen durch Geschrei, Arroganz und krankhaft schlechte Laune gleichzutun. Jeder be m ü he sich auf seine W eise, m it dem Druck klarzukommen.
    Götzkes Gelassenheit s t eckte sie an; er hatte etwas ungekünstelt Väterliches, um das Masken sich per m anent be m ühte, das er aber nie erreichte.
    Sie kannte das Atelier von ihrem ersten Besuch im Fil m haus. Die Kulissen waren dieselben, anders angeordnet, m anche zerlegt oder neu zusam m engesetzt, doch im L i cht der Scheinwerferbatterien hatten sie eine neue, irritierende Trau m ha f tigkeit angenom m en. W as da m als flach und enttäuschend gewirkt hatte, funkelte jetzt in einer fremdartigen B rillanz.
    Die schwarzen

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