Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
und an die Ratten verfüttert hat, alber n es Geschwätz eb e n. W ahrscheinlich ist er nur lebenslänglich eingefahrn. Auf jeden Fall führt sie seitd e m die Geschäfte. Sie is eine der Mächtigsten hier.«
    »Dieses kleine Mädchen …«
    Nette s Blic k verdüstert e sich . »Car m elit a verdien t ihr Gel d mi t alle m mö g lichen , abe r a m liebste n is t ih r das Kinde r ve r m i tteln . Mach t w e ni g Arbei t un d kau m Ärge r. Mütte r bringe n ih r morgen s di e Kinder , J unge n und Mädchen , a nder e komme n un d n e h m e n si e mit , bezahlen natürlic h d a für , versteh t s ich . Manch e brauche n d i e Kleinen  zu m Betteln , mach t sic h besse r a n de r Tür , wen n ma n was Kleine s dabe i hat , da s t r auri g gu c kt . Un d d a fü r sorge n die schon , m i t Zwi c ke n un d Sch l äge n un d so . Ander e wollen nu r m i t de n Kinde r n spaziere n gehen , da s s i n d of t feine Leute , di e s e lbs t kein e K i nde r haben . Un d d a n n g i b t e s no c h die , di e w a s gan z andere s wollen . Klein e G e sichtchen, dünn e Bein e , eng e Löch e r … di e gan z e Palette.«
    Chiara verzog das Gesicht vor Abscheu.
    »Ist m i r selbst so gegangen.« Nette ging neben dem Koffer in die Hocke und strich m it den Fingerspitzen über das Kleid.
    »Ist lange h er. M e ine M utt e r hatte m i ch lieb, wirklich …
    aber sie war ar m . Da hat sie m i ch zu Car m elita gebrac h t.« Chiaras Mund war trocken, obwohl sie eben er s t
    getrunken hatte. » W ie alt waren Sie da ? «
    »Fünf , sech s … s o un g e f ä h r . D a s gin g s o , b i s i c h el f w a r. D a n n i s t m e in e M u t te r g e s t o r b e n. « I h r Bli c k s uch t e die Foto g r a f i e ü be r de r Matratze , abe r Chiar a l a s nu r Zuneigung i n ihre r Mien e un d ein e Spu r vo n Trauer . »Syphilis , w i e die m eis t e n h i er . Dana c h b i n i c h n i ch t m e h r z u C ar m e li t a gegangen , sonder n ha b m i c h a l lei n durchge s chlagen . Konnte m i r di e Kerl e dan n w e nigsten s aussuchen.«
    »Car m elita hat Sie an Männer v er m ittelt, als Sie noch ein Kind waren ? «
    »Sag ich doch. Ich hab keine gute Erinnerung an
    Fil m leute, das kann ich Ihnen sagen.«
    » W aru m ?«
    »Das sind die Schli mm sten«, sagte Nette. »Fil m leute, Theaterleute … Da gab’s einen Filmmenschen, den alle im m er nur den Khan genannt haben. Der Kh a n sammelt Teile tot e r Schauspiele r innen, erzählt m an sich. Geschlec h ts teile. Er besticht die Leute im
    Leichenschauhaus, und dann schneiden die ihm da was raus. E r legt’s in Gläser und stellt’s ins Regal. Hat einen extra Raum dafür in seinem Haus, heißt es.«
    Chi a r a konnt e n i ch t ande r s : S i e sa h Maske n v o r sic h , wie e r i n eine m düstere n Z i m m e r de s Fil m hause s vo r einer R e ga l w a n d m i t Dutz e nd e n vo n G l ä s e r n s t and ; d a r i n sch w am m e n Ding e wi e übergroß e Kaulquappen . S c haudernd e r i n ner t e s i e s ic h , d a s s m a n i h r n u r J u l a s G e s i c h t g e z e igt ha t t e , d e r Re s t d e s Le i c hn a m s w a r v e rd e c k t g e wes e n.
    Unfug. Masken m ochte einen schäbigen Charakter haben, aber er war kein Irrer.
    » W as is lo s ?«, f ragte Nette. »Sie sehn so blass au s . Hätte ich das n i cht erzä h len solle n ?«
    »Doch, doch. Schon gut.«
    Nette betrachtete sie stirnrunzelnd und erhob sich von dem Koffer. »Ich bin bei ihm gewes e n. Beim Khan, m eine ich. Viele w aren da, aber er hat gesagt, ich wär ihm von allen die liebste.«
    Chiara hatte einen faustgroßen Kloß im Hals. »Sie haben ihn gesehen ? «
    Das Mädch e n schütt e lte den Kop f . »Car m elita hat m i ch zu ihm gebracht. Er w artete im m e r in einem dunklen Zimmer. Stockdunkel war’s, nicht m al durch ’ne Ritze schien L i cht rein. Ihm hat das gefallen, er wollte, dass wir Angst haben. Hat m i ch dann plötzlich ange f asst, das Schwein, und dann m us s te ich m i ch ausziehen. Da war ich sieben. Musste alles m achen, was er gesagt hat.«
    Es war eine Sache, zu wissen, dass es diese Dinge gab – aber eine ganz andere, je m and e m gegenüberzustehen, der sie am eigenen Leib erfahren hatte.
    »Ist schon gut«, sagte N ett e , und absurderweise war sie es, die m itfühlend klang. »Das ist nix für Sie, das seh ich  schon. Sie können m i r ein bisschen von sich erzählen, ja? W i e’s da draußen so ist, außerhalb des Viertels. Ich kom m e hier fast nie raus, wissen Sie. Und wir haben

Weitere Kostenlose Bücher