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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ohnungstür stür m t en sie ins Treppenhaus, die Stufen hinun t er, hinaus auf den breiten Bürgersteig des Kurfürstendam m s. Es waren nur noch wenige Fußgänger unterwegs. Eine m en s chenleere Straßenbahn glitt vorüber wie ein Geistersc h iff.
    » W as sollte das alle s ? « , fragte Chiara kopfschüttelnd, nachdem sie fünfzig Meter schweigend nebeneinander hergegangen waren.
    » W as weiß ich.« Lea blickte stur nach vorne, aber sie wirkte eher wütend als ver s tört. »Dieses Dreckschwein.«
    »Arthur ? «
    Lea nickte. »Du weißt, was er vorhatte, oder ? «
    Chiara m usste m it ei ne m Mal lac h en, es b rach aus i h r hervor wie ein Verzweiflungsschrei. Sie konnte gar nicht m ehr au f hören. »Er wollte m it Jula sprechen. M it m einer toten Schwester.«
    »Kindchen, bist du naiv!« Lea blieb stehen und hie l t Chiara am Ä r m el fest. Sie warf einen Blick zurück, aber nie m and folgte ihnen. Auf der anderen Straßenseite, hinter der dunklen Laubwand des Zoos, schrie ein Raubtier seinen Hunger hinaus in die Nacht.
    » W as m einst du ? «, frag t e Chiara. Die Umgebung schwankte immer noch. In weiter Ferne hörte sie den Flügel, aber das war nur ein Echo in ihrem Kopf.
    »Er wollte d i ch vögeln. Genau wie Masken. Die ganzen  Kerle wollten das. Und Ursi ver m utlich auch.«
    Chiara sagte nichts. Starr t e sie nur m it verkniffenen  Augen an.
    Lea at m ete tief durch. » Ich dachte erst, Her m ann m eint es er n st m i t der Seance. Aber als wir dann da waren … Herrgott, dieser ganze Salon voller Kissen. Begreifst du nicht? Die feiern dort ihre Orgien.«
    Chiara ver s uchte ein Lächeln, a b er es wollte ihr nic h t gelingen.
    »Kindchen, Kindchen, du bist wirklich zu gut f ü r die s e Welt.« Lea seufzte. »Man könnte es einen Club nennen, aber das gibt dem Ganzen fast zu viel Stil, und das hat es nicht. Masken, Her m ann und eine ganze Reihe anderer – sie treffen s i ch und vö g eln s i ch d i e Seele aus dem Leib. Was glaubst du, warum Her m ann d i ese beiden Blondinen m itgeschleppt hat? Und dieses Mädchen, das Masken dabei hatte. Dieses Pärchen. Frisc h fleisch, m eine Liebe, m anches bezahlt, an d e r es nur zu willig, s i ch auf diese Weise eine Scheibe v o m Erfolg abzuschneiden. In ihren besten Zeiten haben sie ganze Säle ge m i etet, voll gestopft m it kleinen Jungs und Mädchen, und dann haben sie alle ihre Freunde eingeladen. Hast du m al von Harry Berg gehört? Nicht? W ar ein Schauspieler und Regisseur. Vor ein paar Ja h ren ist b e i einer dies e r n etten F e iern sein Herz stehen geblieben. Mit den Sch m iergeldern, die der Rest der Bande bezahlt hat, um heil aus der Sache rauszukom m en, hättest du wahrscheinlich den halben Ku’damm kaufen können. Sie m i eten Nutten aus den Edelpuffs und aus den fin s tersten Löchern, aus d e m Scheunenviertel und von anderswo. Und natürlich Stricher, Jungen in jedem Alter, kleine Jungs und große, sie ste h en ja hier an jeder Straße n ecke. Manch m al haben sie ein p aar Dutzend zusam m engekarrt und die halbe Fil m branche eingeladen. Auf dem Kokain, das da verbraucht wurde, hättest du eine Stunde lang rodeln können.«
    Chiara hatte m it offenem Mund zugehört. Sie wollte nicht überrascht wirken, wollte so tun, als ob sie das alles gewusst, zu m i ndest aber geahnt hätte. Tatsächlich aber war sie völlig perplex. »Und du m einst, heute Abend wollten s i e …«
    »Natürlich«, sagte Lea. »Heute Abend warst du an der Reihe. Diese Seance war nur ein Vorwand, nichts sonst.« Chiara fixierte ihren Blick, sah Lea eindringlich an. »Ich hab das da oben nicht manipuliert, Lea. Das ist wirklich passiert. Ich hab die Planchette nicht berührt.«
    Lea schaute zu Boden, ging dann weiter. Chiara folgte ihr.

    »Ich weiß. Irgendwas ist passiert, wo m it Her m a nn nicht gerechnet hatte.«
    In Chiaras Kopf schwirrten die N a m en und Gesichter durchei n an d er. Sie hatte M ühe, die Ereignisse während der Seance von dem abzugrenzen, was Lea ihr gerade erzä h lt h a tt e .
    »Bei dieser Orgie«, sagte sie beklom m en, »was hätte  U rsi g e t a n ?«
    »Mitge m acht, was sonst? Sie m ag solche Sachen. Sie und Jula … na ja, m an hat sich aller h and erzählt.«
    »Jula war auch in diesem … Club ? «
    »Schon m öglich.«
    Chiara schauderte vor A bsch e u. Aber da war noch etwas anderes, ein Gefühl von … ja, von was? Faszination?
    Gott im Him m el.
    Du willst m ehr davon h ören. Du willst es wisse n .
    Lea lächelte,

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