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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Kreischen, s o lang gezogen, dass es in den  Ohren schmerzte.
    Sie at m ete auf, als sie endlich die Tür erreic h t e. Nervös probierte sie die Schlüss e l durch, bis einer passte.
    Du bist jetzt eine Einbrecherin.
    Na und? Meine Schwester war drogenabhängig, sexsüchtig und ein verschlagenes Luder. Dagegen bin ich doch noch ganz patent.
    Es war dunkel im Haus, aber sie wagte nic h t, das Lic h t einzuschalten aus Sorge, Masken würde schon von weitem durch die erleuchteten F e nster alar m i ert werden.
    Erst sein Arbeitszim m e r .
    Sie stieg die Treppe hinauf in den ersten S t ock, folgte einem Gang bis zu seinem Ende und drückte eine Klinke herunter. Die Tür schwang auf, dahinter roch es nach Papier und kaltem Pfeifenrauch. Sie hatte ihn nie Pfeife rauchen sehen. Auch m it dem Aufdecken von Gehei m nissen fing m an wohl klein an.
    Sie zog den schweren Vorhang vo rs F e n s t er und schaltete d i e Schrei b tischla m pe an.
    Alles war s o aufgerä u m t , wie sie es erwartet hatte. Ein paar Bronzefiguren auf Sockeln und Regalen, meist nackte Mädchen in frivolen P o sen. Ein indianischer Federsch m u ck zierte einen bräunlichen Globus. Überall Fil m plakate, gerollt, ge f alt e t, offen am Boden ausgelegt, ein paar Drehbücher oder Teile davon. Gekreuzte Säbel m it den Abzeichen Schlagender Verbindungen, Relikte aus Mas k ens Studienzeit. Ei n e Briefwaage, ein beträchtlicher Vorrat an Schnup f tabak in einer Vitrine, ein paar Hausschuhe aus Filz. All das hatte die A n m utung eines ältlichen Gelehrten, der ein Faible für die Fil m kunst hatte und weh m ütig seiner Jugend nachhing.
    Sie dachte an Geheimkammern hinter den getäfelten W änden, an Bücher, die m an aus den prall ge f üllten Regalen ziehen m usste, um verborgene Mechanis m en zu akti v ieren. Aber sie rechnete nicht ernsthaft m i t dergleichen, und nun war es i h r beinahe peinlich, so weit in Maskens Privatsphäre vorgedrungen zu sein.
    Leas W orte fielen ihr wieder ein. In ihren b esten Zeiten haben sie ganze Säle gemietet, voll gestopft mit kleinen Jungs und Mädchen.
    Das war M askens Pri v atsphäre. Sie erin n erte sich an Nettes Blic k , als s i e i h r erzä h lte, wie m an sie als Mädchen dem Khan zugeführt hat t e: Ein dunkler Rau m , ein gesichtloser Mann, nur Hände und a lles, was er sonst noch brauchte, um sich an Kindern zu vergehen.
    Sie war nicht hier, weil sie ver m utete, dass Masken der Khan war. Nur weil sie sich e rge h en wollte, dass er es nicht war. Und wenn das irgendwie doch ein und dasselbe war, dann zum Teufel da m it. Sie hatte da m it angefangen, und jetzt würde sie es zu Ende bringen.

Langsam ging sie an den Bücherregalen vorbei, las Buchtit e l, d i e ihr zum Teil ve r t r aut vorka m en. Viele Ro m ane von Meyrink, Spunda, Sch m itz und anderen Fantasten. Das eine oder andere Buch kannte sie, a b er sie hatte kein besonders gutes Gedächtnis, was erfundene Geschichten anging. Sie las sie und konnte sie sich ein Jahr später erneut vorneh m en, ohne sich zu lang w eilen.
    Sie kam an eine Regalwand m it Sachbüchern, vor allem von Esoterikern und Philosophen. Nietzsches W erke nah m en üb e r einen Meter ein, daneben zahllose Bände von einem Mann, den sie nicht kannte: Rudolf Steiner. Die Philosophie der Freiheit, las s i e e i n en Tit e l. Die gei s tige Führung der Menschen und der Menschheit. Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens. Die Stufen der höheren Erkenntnis. Friedrich N i etzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit. Die Schwelle der geistigen Welt. Lucifer- Gnosis.
    Masken schien viel von diesem Steiner zu halten.
    Sie war versucht, in den Unterlagen auf d e m Schrei b tisch zu s t öbern, ließ es da n n aber blei b en. Auch die zahlreichen Schubladen reizten sie, aber nachdem sie in den ersten nichts von Belang entdeckte, beschloss sie, sich lieber weiter im Haus u m zusch a uen.
    K a m i nzimmer und Küche kannte sie, ebenso alle Räu m e, die m it den technischen Aspekten der Fil m produktion zu tun hatten. Blieb d e m nach nur, noch tiefer in seine Privaträu m e vorzustoßen.
    Im Schlafzimmer stand ein großes Bett. Rah m en und Enden bestanden aus gusseiser n em Gitte rw erk. Das G e m älde einer nächtlichen Landschaft hing an der W and gegenüber, ein paar vertrocknete Rosen steckten im Rah m en; sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass Masken s i e dort ange br acht h a tte. Das Bett w a r ge m acht,
    die Laken penibel glatt gezogen. Möglich, dass seine 

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