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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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W erten oder Interessen – sie hätte nicht m ehr als ein paar Plattitüd e n von sich gegeben. Sie hatte sich nie Gedanken darüber ge m acht.
    Und nun stand s i e im Mittel p unkt – nicht der Öf f entlichk e it, darauf kam es nicht an. Nein, im Mittelpunkt ihres eigenen Lebens.
    Du selbst. N ur du selbst.
    Aber bist du das? Ist das die wahre Chiara?
    Darauf wusste sie keine A n twort. Jakob, der sie ihr vielleicht hätte geben können, war nicht da. Er sei kein Freund solcher Veranstaltungen, hatte er ihr erklärt. Nie zeige sich deutlicher, w i e verlogen und selbstgerecht die ganze Branche sei, als bei solchen Anlässen.
     
     
    *
     
     
    Die Einladung kam am Tag darauf, ein schlichter U m schlag und die han d schriftliche Bitte um einen Besuch in einer W o hnung in W i l m ersdorf, Hohenzollerndamm 52.
    Die Unters c hri f t: Fritz L ang.
    Lang hatte m it der Pre m iere seines neuen Fil m s Dr. Mabuse, der Spieler gerade erst einen ungeheuren Triu m ph ge f eiert. Der zweite Teil sollte im Juni in die Kinos kom m en. Ganz Berlin sprach über Lang und seine Frau Thea von Harbou, die die Autorin der m eisten seiner Drehbücher war. Beide galten a l s affektiert, aber genial, als Aushängeschilder des neuen Luxus, den das Fil m geschäft dem einen oder anderen gestattete.
    Chiara wäre eine Närrin gewesen, die Ei nladung auszuschlagen. Als sie Jakob am selben Abend davon
    erzählte, gratulierte er ihr auf seine unterkühlte und doch herzliche Art.
    »Aber du gehst doch nicht nur wegen einer R olle zu  Lang, oder?«, fragte er.
    » W arum sollte ich son s t hingehe n ? «
    »Ich neh m e an, du weißt, dass Lang deiner Schwester eine Rolle in seinem nächsten Film angeboten hat.«
    »Ehrlich?«
    »Sie hatte ja bereits unter den m eisten großen Regisseuren gespielt, bei May und Lubitsch und W i ene. Lang hat noch auf ihrer Liste gefehlt. Aber dann kam alles ganz anders: Er hat sie kennen gelernt, hat ein paar Probeaufnah m en m it ihr ge m acht … und da m it war der Fall für ihn erledigt.«
    »Ach ? «
    »Sie hat sich in der Pr e sse ausgeheult darüber und ihn als egoze n trischen W ahnsinnigen d argestellt. Nicht sehr sch m eichelhaft, für beide Seiten. Erstaunlich, dass er jetzt m it dir reden will.«
    »Meinst du, er will m i r dieselbe Rolle anbieten ? «
    » W äre m ög l ich.«
    »Aber ich kann das nicht! Ich m eine, Fritz Lang … So gut bin ich nicht …«
    Er grinste sie herausfordernd an. »Genau deshalb bist du hie r : Da m it wir solche Sätze ein f ür alle M a l a us deinem Wortschatz streichen.«
    »Aber ich …«
    »Geh zu ihm«, unterbrach er sie ruhig. »Frag ihn nach Jula. W enn es dir wirklich darum geht, m ehr über sie zu erfahren, dann bist du bei ihm an der richtigen Adresse. E r muss sie gehasst haben, nach alle m , was sie über ihn und die Harbou verbreitet hat.«
    *
     
     
    Am nächsten Abend, einem Montag, fuhr Chiara nach Drehschluss direkt vom A t elier in Te m p elhof nach W i l m ersdorf.
    Lang kam persönlich zur Tür, um sie einzulassen. Er trug ein weißes Jackett, eine graue Flanellhose und eine quer gestreifte Krawatte über einem hellen He m d. Sein dunkles Haar war m it P o m ade zurückgekäm m t. In seinem linken Auge klem m t e das unvermeidliche Monokel. Er roch deze n t nach Rasierwasser.
    Sie hatte ihn bereits bei der Pre m ierenfeier kennen gelernt, doch da war sie angetrunken und berauscht gewesen von all dem Trubel, der um sie veranstaltet wurde. Jetzt war sie überrascht, wie jung er noch war, gerade m al Anfang dreißig.
    Nach der B egrüßung entschuld i gte er sich dafür, dass seine Frau nicht an ihrem Treffen teilneh m en könne. Sie habe sich für einige T age aufs Land zurückgezogen, um ihren neuen Ro m an zu beenden; e r solle in K ü rze in d er Berlin e r Ill u stri e rten v or verö ff entli c ht werden.
    Die W ohnung war riesig. Lang und von Harbou hatten eine Vorlie b e für fernöstliche und polynesi s che Kunst, und so waren Wände, Kommoden und Regale voll von archaischem Schnitzwerk, Götzenfratzen, fol k loristisc h en Darstellungen und sonderbaren Gegenständen, die Chiara nicht einordnen konnte: Manche m ochten Utensilien eines Scha m anen oder Z auberpriesters sein, andere bizarre Handwerksgeräte oder gar Kochbesteck.
    Er führte sie ins W ohnzimmer und bat sie, in einem der Sessel P l atz zu neh m en. Als er be m erkte, dass ihr Blick über die asiati s chen Sammelstücke wanderte, wies er s i e auf einige besondere Stücke hin:

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