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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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an, ohne eine Miene zu verziehen. »So weit ich weiß, k a m es dazu, weil Sie es sich wegen Julas Besetzung anders überlegt hatten.«
    »Befürchten Sie, dass es I hnen ähnlich ergehen könnte ? «
    »Darum geht es nicht. Mir i s t klar, dass ich die Rolle erst habe, wenn Sie m it den Probeaufnah m en einverstanden sind.«
    Er nickte, wartete ab.

» W issen Sie«, begann sie erneut, »ich weiß nicht viel über   m eine   Schwester.   Nur   das,   was   alle   wissen,   die Dinge,   die   in   den   Zeitungen   standen,   natürlich   noch   ein  paar Details aus ihrem früheren Bekanntenkreis. Aber das ist a u ch sc h on all e s.«
    War es ein Fehler, ihm geg e nüber so offen zu sein? W as int e res s ie r t e n ihn ih r e F a m ilienangelegenheite n ?
    »Lassen Sie m i ch ehrlich sein«, sagte sie. »Mich würde int e res s iere n , wie Jula auf Sie gewirkt hat. W i e ist sie gewesen? Und warum haben Sie sie nicht engagiert? W eil sie Ihren Ansprüchen nicht genügt hat ? «
    Lang m usterte sie noch ein e n Augenblick länger, dann seufzte er und lehnte sich zurück. » W ie soll ich Ihnen das erkläre n ?«
    »Sie m üss e n keine Rücksicht neh m en, weil ich Julas  Schwester w ar.«
    »Nicht ? « E r schnellte wie d er vor, so rasch, dass sie un m erklich zusam m enfuhr. Sein Blick verdüsterte sich.
    »Nun gut. Ihre Schwester war eine talentierte Frau, ganz ohne Zweifel, aber ihr fehlte jegliche Bereitschaft, sich anderen unterzuordnen. Selbst bei den Probeaufnah m en hat sie versucht, m i r zu erklären, von welcher Seite und in welchem L i cht ich sie aufneh m en soll. Ich habe m i t Schauspielern gearbeitet, die ebenfalls solche Tendenzen hatten, aber den m eisten habe ich sie ausgetrieben. Und falls doch mal der eine oder andere eigensinnig blieb, dann nur, weil ich es zugelassen habe u n d sei n e Qualitäten es gerechtfertigt haben. Ihre Schwester aber, nun, sie war … wie soll ich sagen …«
    »Die m eisten haben sie ein Miststück genannt.«
    E r gestattet e sic h ei n kurze s Läche l n . »Ja , da s triff t es, abe r da s is t noc h nich t a lles . F ü r si e stan d nu r si e selbs t i m Mittelpunkt , m i t eine r Ausschli e ßli c hkeit , di e e s unmöglich ge m a ch t ha t , m i t ih r i n eine n Dialo g z u treten . Nich t die übliche n M a rotten , di e wi r all e i n dies e m Geschäf t haben, nich t einm a l di e egom a nisc h e n Anwandlung e n , di e m a n
    man c he n R e gisseure n n a chsagt. « E r ho b ein e B r au e und wartet e au f ihr e Reaktion , doc h si e blie b gel a s s en . »Ne i n, Jul a wa r anders . A l s wär e si e de r Überz e ugun g gew e sen, di e Jungfr a u Mari a per s önlic h se i vo m H i mme l gestiegen, u m un s all e m i t ihre r Glori e z u b e glücken . Ic h weiß , das kling t g e n a u wi e da s , wa s ma n sic h übe r e in e ganze Menge n D i ve n erzähl t – abe r be i Ju l a wa r alle s noc h eine D i mensio n größer , wahn s innige r un d g e m e i ner.«
    »G e m einer?«
    Er nickte. »Bei m i r wäre sie da m it nicht weit gekom m en, aber sie ließ ihre Wut gerne an anderen aus, an Garderobieren, den Leuten aus der Maske, an Bühnenarbeitern und so weiter. Ich hatte natürlich davon gehört, bevor ich sie getr o ffen habe, viele hatten m i ch gewarnt – aber ich dachte nicht, dass es so schlimm war. Größenwahn ist ein zu har m los e s Wort dafür, glauben Sie m i r.« Er schütt e lte den Kop f . »Ver m utlich werden Sie m eine W or t e auf eine persönliche Antipathie schieben.«
    »Nein … nein, ich denke nicht. Ich habe eine ganze  Reihe ähnlicher Dinge gehört.«
    Er hatte sich in Rage geredete, und sie sah ihm an, dass er Mühe h atte, s i ch wieder zu beruhigen. Ihre Fragen hatten ihn aus der Fassung gebracht, und das konnte ihm nicht gefallen. W ar es das wert? Lang hatte bestätigt, was sie längst von anderen gehört h a tte, aber all m ählich fragte sie sich, ob das wirklich alles war: War Jula nichts anderes als eine durchgedrehte, selbstverliebte Diva gewesen? Hatte es nichts anderes geg e ben, das sie definierte, das ihren Charakter bestim m t e? Konnte ein Mensch einfach nur niederträchtig und böse sein?
    Sie erschrak bei der Vorst e llung, dass selbst ein Mann wie Lang die Arbeit m it ihr aus diesem Grund gescheut hatte. E r hatte den Ruf, wid e rs p e n s ti ge S c h a u s p i e l er i n  W i ndeseile zurec h tzust u tzen. W arum nicht Jul a ? W as war es gewesen, das ihn derart abgestoßen

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