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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einem Jungen, älter als Diandra, und … ich bekam Antworten. Merkwürdige Antworten,  aber … so was wie Gewissheit.« E r schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht, was es war. W i rres Zeug. Bruchstücke von Sätzen. Im Grunde habe ich nicht viel verstanden, aber es wirkte so … so echt. Klingt dum m , was ? «
    »Gar nicht.« Sie betrac h tete s e in P r o f il im wechselnden Lichterschein. Die Tropfen a u f der Scheibe wurden als dunkles Schattenspiel auf seine Züge projiziert. Er wollte ebenso wenig allein sein wie sie selbst und zögerte den Abschied hinaus. Deshalb fuhr er nicht den kürzesten Weg. Deshalb kreuzte er m it ihr durchs nächtliche Berlin, durch im m e r stärker werdenden Regen.
    Sie zögerte, dann fragte s i e: » W illst du m i t hochkomm e n ? «
    Er blickte zu ihr herüber. »Sicher ? «
    » W enn ich’s nicht wäre, würde ich es dann vorschlagen ? «
    Sein Lächeln fiel fast ein wenig traurig aus, fand sie, aber dann nickte er. »Das würde ich gern.«
    »Bist du sicher?« Hi mm el, was redeten sie für einen Unsinn! Zwei erwachsene Menschen, die eigentlich wissen sollten, was sie wollten.
    Für einen Augenblick w ar es ihr vorgekommen, als wäre ganz Berlin m ensch e nlee r , die Fenster dunkel, die Gehwege verlassen. Ei n entgegenkom m endes Auto m obil beruhigte sie ein wenig.
    »Hat sie J u la ge m eint ? «, fragte Jak o b unver m ittelt. Böse.
    »Schon m öglich.« Sie dachte an die braunen Augen, die f ür einen M o m ent im Gesicht d es Mädchens au f geblit z t waren. Das war keine T äuschung gewesen.
    Jakob stieß einen Fluch aus und steuerte hart nach rechts.

»Was …« Ihr Satz ging im Kreischen von Metall und Holz unter, als der Wagen ein geparktes Fahrzeug rammte. Jakob versuchte, dem entgegenkommenden Auto auszuweichen. Es war auf ihre Seite gewechselt, mit einem wilden Schlenker, der seine Lampen zu glühenden Schweifen verwischte. Der Fahrer musste betrunken sein. Noch waren sie nicht auf einer Höhe mit ihm, und wieder schwenkte der andere herüber, und diesmal …
    »Halt dich f est!«, brüllte Jakob. Ihm blieb keine Zeit zu bre m sen.
    Chiara s ah die L i chter auf sich zurasen, s a h sie im Dunkeln größer und größer werden, wie Ausgänge am Ende eines Tunnels. Um sie herum versank alles in Schwärze, nur die Lichter blieben und das Getöse der Motoren.
    Der Lärm wurde infernalisch, ganz kurz nur, i m  Augenblick des Aufpralls.
    Chiara wurde nach vorne ger i s s en, der Scheibe e n tgegen, auf der eben noch so viele T r opfensterne geglänzt hatten wie ein eigenes Fir m a m ent. Jetzt w ar da nichts m ehr, nur Finster n is.
    Die Motoren verstum m ten.
    Sie war nicht bewusstlos, obwohl der Sch m erz ihr fast den Verstand raubte. Sch m erzen in ihrem Kopf, Sch m erzen in ihrem Kö r per …
    Sie schaute nach links, zu Jakob, sah die offene Tür, den leeren Sitz. Er war hinausgeschleudert worden, m usste draußen im Regen auf dem kalten Pflaster liegen.
    Irgendwo waren Stim m e n zu hören. Sie ka m en näher.
    Glas knirschte unter Schuhsohlen. Es roch nach Metall, nach Eisen. Nach Blut.
    Ihre Hand tastete zu dem leeren Sitz hinüber.
    Böse , hallte es in ihrem Kopf wider wie ein gespenstisches Echo. Vorsicht vor …
    Blut war auf ihrer Hand. Ihr eigenes?
    Stim m en n e ben ihrem Ohr, draußen vor der T ür. Noch m ehr knirschendes Glas. All das Blut.
    »Jakob ? «, fragte sie leise.
     
      
      
      
    Elf
     

    In der Dunkelheit liegt Heilung, sagt m an.
    In Chiaras D unkelheit lag ein seltsa m er Trau m .
    Sie sah sich selbst eine Reihe düsterer Orte durchwandern, Orte im Scheunenviertel. Sie wusste m it Sicherheit, dass sich all diese G e m äuer, Keller und Verschläge im Viertel b e fanden, obgleich sie keine Straßen dazwischen sah, keine W ege. Als trüge je m and sie schlafend von einem Ort zum and e ren und weckte sie nur an bestimmten Statio ne n für kurze Augenblicke, lange genug, um die U m gebung wahrzuneh m en, zu kurz, um allzu viele E i nzelheiten zu erkennen.
    Der Traum m achte i h r Angst. E r ließ i h r n i cht die Freiheit eigener Entscheidungen, und es lag ein H auch von Tod darin, viel m ehr als die vage Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, die einen m an c h m al bei Nacht h ei m sucht. Da war Tod, aber auch W i e d ergeburt. Zweifel, dann Gewissheit. Furcht, dann Panik. Und schließlich Ergebenheit.
    Sie sah nirgends eine Menschenseele.
    Di e erst e S t atio n ihre s Tra u mwege s wa r ei n hohe r Raum au s Holz , g r o b

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