Das zweite Gesicht
Ihre Schwester nicht von der Straße aufgelesen, wenn es das ist, was Sie m einen.« Er war Zyniker von Gottes Gnaden oder hielt sich zumindest für einen. » W ir wurden einander v or gest e llt, in einem Lokal am Tiergarten. Sie ging d a m als m it einem jungen Schauspieler aus. Nicht die g r o ße Liebe, eher ein Sprungbrett zu Höhere m , neh m e ich an. Sie erzählte m i r, sie wolle zum Fi l m , und ich habe ihr eine Chance gegeben. Das war alles.«
»Tatsäc h lic h ? «
» W as wollen Sie hören? Eine wilde Räuberpistole über Sex und Nötigung ? « Mit einem jungenhaften Grinsen winkte er ab. »Dann lesen Sie eines m einer Bücher.«
» W orüber wollen Sie m it m i r sprechen ? «
»Über Ihre Schwester, nat ü rlich. Ich habe angenom m en, Sie hätten vielleicht das Bedürfnis danach.«
Warum nur nahm jeder an, sie habe den Drang, sich üb e r Jula zu unterhalte n ? Herrgott, sie hatten sich das l e t z te Mal vor einer halben Ew i gkeit gesehen! »Und warum sollte ich gerade Ihnen m ein Herz ausschütten?«
» W eil ich Jula besser gekannt habe als die m eisten anderen.«
Sie seufzte. »Um ehrlich zu sein, Herr Masken, m eine Schwester interessiert m i ch nicht besonders. Nicht sie selbst, und nicht ihr Leben in Berlin.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Das ist Ihr Proble m «, s agte sie, »nicht m eines.«
»Ich glaube, Sie sind nicht halb so hart, wie Sie sich geben.«
»Oh, Sie m e inen, ich entspräche eher Ihren Ans p rüche n , wenn ich mich an Ihrer m ännlichen Schulter ausweinen würde ? «
Er lac h te. » Sarkas m us steht Ihnen jedenfalls viel besser als I h rer Sc hw ester.«
Die Häuser blieben hinter ihnen zurück, und der W agen ru m pelte durch eine triste, leere Gegend. »Yorck Straße« hatte auf dem letzten S child gestanden, aber das war ein paar Minuten her, und dort h a tte es Lichter und andere Auto m obile gegeben. H i er aber war es dunkel, die letzte
Straßenlaterne hatten sie vor ein paar hundert Metern passiert. Masken war, seit d em m e hrfach abgebogen, in grob gepflasterte W ege, die im m er wieder unbeschrankte Bahngleise kreuzten. Chiara erkannte in der Dunkelheit die U m risse endloser W aggonketten wie S ilhouetten schlafender Riesenschlangen. Das Gelände eines Güterbahn h ofs. Maskens Hände schlossen sich fester um das Steuer, d a m it er auf der holprigen Piste nicht die Kontrolle über das Fahrzeug verlor.
»Sie wohnen unter einer Eisenbahnbrücke ? « , fragte Chiara.
»Nicht ganz.«
Sie f olgte seinem Blick nach re c hts. Hinter einig e n Waggons kam eine Mauer zum Vorschein, deren oberer Rand in engen Spiralen aus Stacheldraht abschloss. Jenseits davon war die b e leuchtete Fassade eines Gebäudes zu sehen. Keine Vill a , viel m ehr eine Art Fabrikbau, klobig und sch m ucklos, ein dreistöckiges Rechteck m it hohen Fenstern, hinter denen kein Licht brannte. Auf d e m Flachdach der oberen Etage hatte m an etwas e r ri c htet, d a s wie ein g e waltig e s Gewächshaus aussah.
Masken hielt an, schloss ein Tor auf und lenkte den Wagen dann hindurch. »Die Anlage wurde 1912 für den Adepten errichtet. Vor ein paar Jahren habe ich es billig gekauft. Da m als waren die Ka m eras noch auf Tageslicht angewiesen, deshalb hat m an diese Glaskäfige gebaut. Mittl e rweile ist d as a n ders. In de n neueren Ateli e rs in Babelsberg und T e m pelhof wird nur noch bei Kunstlic h t gedreht. Dies hier ist eines d e r letzten alten Filmhäuser in Berlin. Die m eisten wurden abgerissen, als m an sie nicht m ehr brauchte. Aber da m it hat auch d i e ganze Fil m e m ach e rei ein wenig von ihrem Char m e verloren.«
Der Haupteingang wurde von zw e i nackten Ny m phen aus Stein flankiert – ni chts an d eres hatte s i e v o n Masken erwartet. D arüber befand sich ein Balkon m i t kunstvoll gesch m iedetem Jugendstilgeländer und einer Fransen m arkise. Ein paar Sträucher und Bäu m e waren recht lieblos am Fuß der Mauern gepflanzt worden.
» W arum hier?«, fragte sie.
» W ie m einen Sie das ? «
» W arum baut m an ein Fil m atelier auf einem Güterbahnhof ? «
»Die m eisten alten Studios sind auf Industriegeländen gebaut wor d en, ein p aar auch m itten in der S t adt, auf den Dächern ir g endwelcher Miets h äuser. Glanz und Glitter der Fil m welt ist Teil ihr e r I llusio n en. D i e e i gentlic h e Arbeit hat wenig Gla m ouröses – nicht, wenn es einem e rnst da m it ist.«
Er brachte den W agen vor dem Eingang zum Stehen. Chiara hatte
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