Das zweite Gesicht
ihm nicht, wenn sie dadurch ihre Karriere ruinierte.
Deine Karriere? Bist du noch bei Verstand?
Sie hatte sich selten klarer und berechnender gefühlt. Geschichten wie diese hatte sie schon früher gehört, aus Berlin, h äufiger n o ch a u s A m erika. Tote Stars, die an d ere m it in den Abgrund ri s sen, nur weil die Öffentlichkeit sie m iteinander in Verbindung b r achte. Sie sah die Fragen schon vor sich, die in der Presse gestellt werden würden: Was hatte sie in der Wohnung des Toten zu suchen gehabt? W a rum hatte die Polizei ihre Fingerabdrücke auf einer der Statuen gefunden? W eshalb war der Leichnam nackt gewese n ? Auf all diese Fragen gab es gute, nachvollziehbare Antworten, doch das waren nicht die, die irgendwer h ören wollte. Die Polizei m ochte ihr glauben, aber die Presse würde sich ihr eige n es Bild m achen. Ganz zu schweigen von den Leuten auf der Straße.
Torben Grapow, der S c hwarm aller Frauen – tot. Und Chiara Mondschein, die den Fluch ihrer Schwester geerbt hat, war m it dem nackten Lei c hnam allein in einer Wohnung. War es wirklich ein R aub m ord? Oder gab es andere Motive, zu abgründig, zu schmutzig, als dass m an sie in d er Öffentlichkeit diskutieren konnte?
Sie würde nicht die Polizei rufen. Sie würde die zweite Statue wieder an ihren Platz stellen und abwischen, genau wie die Pfanne in der Küche, den Lichtsc h alter, die Türklinke und den Beckenrand, alles, was sie angefasst hatte. Dann würde sie von hier verschwinden und beten, dass nie m and sah, wie sie das Haus verließ.
Sie brauc h te nur ein paar Minuten, um den ersten Teil ihres P l ans in die T at u m zusetzen. Danach gi n g sie noch ein m al zu Torben ins Bad, überlegte, ob sie vielleicht etwas sagen m üsste, irgendeine Form von Abs c hied oder gar eine Entschuldigung. Aber wofür sich entschuldigen? Sie hatte nichts getan. Kein Grund, dass sie ihre Karriere durch eine Leiche ruinierte. Irgendwer würde ihn finden. Ein anonymer Anruf bei der Pol i zei, ja, das wäre m achbar. Aber auf keinen Fall m ehr.
Tut m i r Leid, Torben. Tut m i r wirklich Leid.
Sie warf ihm eine Ku s shand zu u n d spürte z u m ersten Mal ein Brennen in den Augen. Reiß dich zusammen! Du wirst jet z t nicht los h eul e n!
Sie wollte sich g erade a b wenden, als er die Augen aufschlug.
Sie schrie auf, stolperte und wäre beinahe gestürzt, hielt sich gerade noch an einem Handtu c hhalter fest und blieb m it Mühe auf den Beinen.
Er m achte die Lippen noch w e iter auf, die Blutkruste zerbrach und rieselte in roten Schuppen auf die Wasseroberfläche.
Ein Zischen drang aus seiner Kehle. Ein Geräusch wie von einem ein Blasebalg, aus dem die letzte Luft entweic h t.
Seine Augen bewegten sich nicht, blickten starr nach vorne, an Chiara v orbei. Sein Zeige f in g er rutschte stockend ü b er die Oberfläche der Kachel, zeichnete ein unsichtbares Zeichen, vielleicht einen Buchstaben oder sogar ein Wort? Nein, ein W ort war das nicht, dafür blieb
ihm nicht die Zeit und nicht d i e Kraft. Nach zwei, drei Sekunden krallten sich seine Finger zusam m e n wie die Beine ein e r sterben d en Spinne, der Arm glitt vom Wannenrand und schlug klatschend ins W asser.
Seine Augäpfel blieben starr, leblos wie Mur m eln.
Chiara bewies gerade noch genug Geistesgegenwart, auch den Handtuchhalter von ihren Fingerabdrücken zu reinigen, dann rannte sie den Gang hinunter ins Wohnz i mmer. Plötzlich rutschte sie aus und schlug der Länge nach auf den Boden. Ihre Hände griffen nach rechts und links, wollten sich irgendwo festhalten, d och alles, was sie zu fassen beka m , war loses P apier. S i e w ar auf den Blättern aus der Kommode ausgerut s cht, auf den Unterlagen, die überall verstreut lagen.
Sie hätte keine weitere Zeit da m it verschwen d et, wäre aufgestanden und weitergelaufen, wäre ihr Blick nicht zu f ällig auf etwas V e rtra u t es ge f allen, ein bekannt e s Sy m bol, einen Schriftzug. Maskens Geschäftspapier, der Briefkopf, der über all sei n en Schreiben und Verträgen prangte.
Sie griff d a nach und las, erst noch verwirrt und ein wenig desorientiert von ihr e m Sturz, dann aber im m er auf m erksamer.
Es war ein Vertrag zwischen Torben und Masken. Ein Vertrag über fünf Fi l m e, einer von der Art, wie er ihn auch ihr angeboten hatte. Abgeschlossen vor zwei W o c hen.
Keiner der beiden hatte ihr gegenüber darüber gesprochen. Nicht, dass es sie etwas anging, aber ein Vertrag w i e dieser – ausgesprochen
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