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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wasser.
    Sie fluchte und versuchte es erneut. Aber m als vergeblich.
    Sie schleuderte das H andtuch beiseite, schaltete ihre Gedanken ab, ihre Skrupel, ihr Herz – und schob ihre Hände unter seine Achseln. Sei n e Haut war glitschig geworden. Trotzdem schaffte sie es, seinen Hinterkopf über den Wannenrand zu ziehen und ein gutes Stück seines Oberkörpers. Blutwass e r lief außen an der W anne herab und bildete in den Fugen der B odenfliesen ein rotes Gitt e r m uster.
    Chiara küm m erte sich n i cht daru m . Jetzt nicht mehr.
    Sie hatte nur Augen für die Narbe, die am Rand der Wasseroberfläche s i c h t b ar wurde. S i e sah aus wie ihre eigene. Die gleic h e Stelle, die gleic h e Länge.
    Dieselbe Klinik.
    Die gleiche Operation.
    Sie ließ ihn zurück ins Wasser gleiten, stand für einen Augenblick wie erstarrt, wie eingefroren. Und dann kehrte all m ählich ihre Vernunft zurück, ihr Denken hörte auf, sich um einen winzigen Schnitt zu drehen, um das, was er bedeuten m ochte.
    Aber was bedeutete er?
    Sie hatte nicht die geringste Ahnung.
    Noch ein m a l wischte sie über die Stellen, die sie berührt hatte, in der Hoffnung, dass sie alle erwischte. Dazu benutzte sie das Handtuch und ließ es anschließend auf dem Boden liegen, sollte sich die Polizei dabei denken, was sie wollte.
    Sie wusch sich die Hände am Becken mit k l arem Wasser, zog ihren Mantel über, polierte m it dem Ä r m el den Griff des W asserhahns und lief hinaus, ohne einen weiteren Blick auf den Toten zu wer f en.
    Sie lauschte an der Wohnungstür und entschied sich, alles auf ei n e Karte zu s etzen.
    Sie ri s s die Tür auf.
    Die Finsternis im Treppenhaus sprang sie an, zog sich aber noch im selben M o m ent wieder zur ü ck, als der fahle Schein der Berliner Skyline vom Wohnzimmer nach draußen fiel. Das bisschen Helli g keit reic h t e, um den Schalter im Treppenhaus zu finden. Die Licht ging an.
    Kein Mensch war zu sehen.
    Chiara h o r c hte. Keine Schritte, k e in Rasch e ln in der  Tiefe. Nichts.
    Ein letzter Blick an sich h i nunter – keine verräterischen Flecken oder Spuren –, dann eilte sie zum Geländer und schaute nach unten. So weit sie sehen konnte, war die  Spirale der breiten Mar m ortreppe m enschenleer. Aus keiner W ohnung drangen Laute.
    Sie lief zur Tür und zog sie von außen zu. Nie m and begegnete ihr auf dem Weg nach unten.
    Ungesehen verließ sie das Haus. Stand je m and hinter den dunklen Fenstern? F alls ja, so w ar er in der Finsternis unsichtbar.
    Zügig, aber ohne zu rennen, bewegte sie sich vom Haus fort, den Gehweg entlang, ohne sich noch ein m al u m zuschauen.
      
      
      
     
    Sechzehn
     
    Nie m and brachte sie m it Torbens Tod in Verbindung. Keiner sch ö pfte Verdacht. Nicht ein m al Masken m eldete sich bei ihr, wofür sie dankbar war, obwohl es sie zugleich stutzig m achte. Sie hatte erw a rtet, dass er anrufen oder gar auftauchen würde, doch in den ersten Ta g en nach dem Fund von Torbens Leiche hörte sie nichts von ih m .
    Die Putzfrau hatte den Leichnam a m nächsten Morgen entdec k t. Die Polizei er m itt e lte in alle Richtungen, angeblich gab es keine Spur. Chiara ver m utete, dass m an sie irgendwann verhören würde, so wie m an m it all s e inen Bekannten sprechen würde, doch bislang ließ man sie in Ruhe. W ü r de sie bei einem Verhör schwach werde n ? Würde sie alles aus p lauder n ? Nein, sie war zie m lich sicher, dass sie das durchstehen konnte. Sie war stark geworden in den letzten Mon a ten. Abgebrüht, korrigierte ihr Gewissen sie.
    Sie hatte T orbens Klinikrechnung m it ihrer eigenen verglichen. Die A bkür z ungen waren weitgehend dieselben, hier und da gab es ein paar Unterschiede, aber das m ochte an der Art seines Unfalls liegen – auch wenn jene aus d en Kürzeln nicht abzulesen war.
    Sie zerbrach sich den Kopf darüber, verließ drei Tage lang ihre Wohnung nicht und ließ sich das Essen aus einem nahen Restaurant kommen, von einem Botenjungen, den sie öfters für solche Zwecke einsetzte. Alle Versuche, sich durch Bücher abzulenken, waren fruchtlos; immer wieder kehrt e n ihre Gedanken zu Torben, der Narbe und zu Maskens m öglicher Verwicklung in diese Sac h e zurück.
    Es gab keinen Beweis, dass er etwas da m it zu tun hatte.
    Und doch zweifelte sie nicht d a ra n . Er h a tte v erhind e rt, dass m an sie in die Charité brac h te. Stattde s sen hatte er da f ür geso r gt, da s s s i e in d i es e r P riv a t kli n ik a u fw achte, derselben, in der

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