Das zweite Königreich
will Euch nicht unnötig von Eurem Unterricht fernhalten. Mir war nur daran gelegen, Euch wissen zu lassen, wie froh meine Söhne und ich sind, daß der Zorn des Herzogs nicht länger zwei unschuldige Männer trifft.«
Cædmon fiel ein, was William über seine einflußreichen, weisen Ratgeber gesagt hatte, und ihm ging ein Licht auf. » Ihr habt für uns gesprochen, Madame? Wie großmütig von Euch.«
Sie hob kurz die schmalen Schultern. »Es war nur recht. Und ich bin sicher, es wird sich für uns alle noch von Vorteil erweisen.« Sie hob lächelnd die Hand, um ihn zu entlassen.
Wulfnoth schloß sich ihm an, und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinunter.
»Was hatte das zu bedeuten?« fragte Cædmon verständnislos. »Was wollte sie von mir?«
»Sie wollte vor allem einen Blick auf dich werfen. Sie wünscht, daß du in Zukunft mehr Zeit mit Richard und Rufus verbringst. Sollte der Herzog in England tatsächlich erfolgreich sein, will sie, daß du ihre beiden jüngeren Söhne unsere Sprache lehrst. Du solltest ihm Glück wünschen, weißt du. Es würde bedeuten, daß du Jehan de Bellême entkommst.« Cædmon schnitt eine Grimasse. »Was für ein Dilemma … Und was wollte sie von dir?«
»Oh, nichts weiter. Hören, was ich von dir denke. Sie schickt gelegentlich nach mir, weißt du. Schließlich ist sie so etwas wie meine Nichte.« »Wie bitte?«
Wulfnoth zuckte mit den Schultern. »Ihre junge Tante Judith, die Halbschwester ihres Vaters, ist die Frau des fürchterlichsten all meiner Brüder, Tostig, neuerdings nicht mehr Earl of Northumbria, wie man hört.«
Cædmon schüttelte verwirrt den Kopf. »Was redest du da?«
»Meine Schwägerin ist ihre Tante. Also ist Matilda meine angeheiratete Nichte. Was ist daran so schwer zu verstehen?«
Cædmon schwieg betroffen. Er vergaß einfach immer wieder, aus welch mächtigem Adelsgeschlecht Wulfnoth stammte, welch ein Leben, wieviel Macht ihm von Geburt her eigentlich zugestanden hätten.
»Und sie schickt nach dir, um mit dir zu plaudern, ja?«
»So ist es. Ein hohes Privileg, das ich wirklich zu schätzen weiß. Sie ist eine der wunderbarsten Frauen, die ich kenne. Und du kannst getrost davon ausgehen, daß wir ihr unser Leben verdanken.«
»Ist ihr Einfluß auf William so groß?«
Wulfnoth nickte. »Er vergöttert sie und hört auf sie, ja.«
»Erstaunlich«, murmelte Cædmon. »So ein zierliches Persönchen. Und noch so jung.«
»Ja, sie ist noch keine dreißig, muß ungefähr vierzehn gewesen sein, als Robert zur Welt kam. Sieben Kinder bisher, eins gesünder als das andere, und man sieht ihr kein einziges davon an.«
»Das ist wahr. Herzog William ist ein glücklicher Mann.« Wulfnoth verzog ironisch den Mund. »Er hat hart genug gekämpft, um seine Matilda zu erringen. Sie haben gegen das ausdrückliche Verbot des Papstes geheiratet, weißt du.«
»Ist das wahr? Warum hat er die Heirat verboten?«
»Angeblich, weil William und Matilda zu nah miteinander verwandt waren. In Wirklichkeit, weil dem Papst eine Verbindung zwischen Flandern und der Normandie politisch nicht zusagte. Jedenfalls heirateten sie einfach, warteten, bis der Papst starb, holten sich die Erlaubnis von seinem Nachfolger und stifteten zur Buße jeder ein Kloster. Und damit war die Angelegenheit vergessen.«
Cædmon sann über diese ungewöhnliche Eheschließung nach und dachte, daß seine Hoffnung auf Aliesa de Ponthieu vielleicht gar nicht so vergeblich war, wenn auch Herzog William Matilda unter so widrigen Umständen und sogar gegen den Widerstand der Kirche geheiratet hatte. Immer vorausgesetzt, daß Aliesa ihn überhaupt wollte.
Jehan de Bellême begrüßte Cædmon mit einem zufriedenen Grinsen. »Du hast die weihnachtliche Faulenzerei vier Wochen länger als jeder andere genossen, wie?« knurrte er.
Cædmon nickte. »Ich hab gedacht, ich bin im Paradies.«
»Das kann ich mir vorstellen. Vermutlich bist du wieder so schlaff und kraftlos wie am Tag deiner Ankunft hier.«
»Mindestens.«
Ohne jede Vorwarnung trat Jehan ihm die Beine weg, und Cædmon ging zu Boden. »Nicht in diesem Ton, Söhnchen. Du kannst gleich unten bleiben. Zeig mir ein paar Liegestütze …«
Cædmon hätte nicht gedacht, daß er einmal so weit kommen würde, einen Tag in Jehans Klauen einen schönen Tag zu nennen, aber er kam nicht umhin. Er fühlte verharschten Schnee und den steinhart gefrorenen Boden unter seinen Händen, die wunderbare, sanfte Februarsonne auf Nacken und Rücken, während er
Weitere Kostenlose Bücher