Das zweite Königreich
Schweren Herzens folgte Cædmon dem Mann aus der Halle. Er war alles andere als erpicht darauf, sich dem Zorn und Hohn des Herzogs auszusetzen, er fand, die Normannen stellten gar zu hohe Ansprüche an seine Duldsamkeit.
Die Wache führte ihn eine Treppe hinauf zu den herzöglichen Gemächern, klopfte an und bedeutete Cædmon mit einem Nicken einzutreten.
William saß zurückgelehnt in einem Sessel am Fenster. Ein Leinentuch bedeckte seine Brust, und hinter seiner Schulter stand sein Barbier, das frisch geschärfte Rasiermesser in der Hand.
Cædmon trat zögernd ein paar Schritte in den Raum, verneigte sich tief und sah sich verstohlen um. Er war zum erstenmal in diesem Gemach. Wunderbare, große Teppiche bedeckten die Wände, die Steinfliesen waren mit frischem Stroh und duftenden Kräutern ausgelegt. An einem der beiden schmalen, hohen Fenster stand ein dunkel gebeizter Eichentisch mit mehreren brokatgepolsterten Sesseln, unter dem anderen ein hohes Stehpult mit einer Kerze darauf, hinter dem ein kleiner, blasser Mönch wartete, die Feder einsatzbereit in der Hand. Sonst war niemand im Raum.
»Tretet näher, Cædmon«, sagte William nicht unfreundlich.
Cædmon wagte sich drei Schritte weiter vor.
»Ich wünsche, daß Ihr eine Protestnote übersetzt, die ich nach England zu schicken gedenke. Wiederholt langsam in Eurer Sprache, was ich sage. Deutlich, damit der Schreiber die fremden Worte auch versteht.«»Ja, Monseigneur.«
»Pierre, worauf wartest du, denkst du, ich habe den ganzen Tag Zeit, mich rasieren zu lassen«, fuhr er den Barbier zerstreut an, der sich schleunigst an die Arbeit machte. William legte den Kopf zurück und begann zu diktieren: »An Harold, Earl of Wessex. Mit großem Bedauern habe ich von Eurer Usurpation Kenntnis genommen, mit der Ihr die englische Krone widerrechtlich und entgegen Eurer beeideten Zusicherung an Euch gebracht habt. Ich ermahne Euch nachdrücklich, Euch zu besinnen, denn nicht nur habt Ihr gegen jedes geltende weltliche Recht verstoßen, sondern mit dem Bruch Eures feierlichen Eides Euer Seelenheil verwirkt …«
Es wurde ein langer, äußerst scharfer Brief, und das Diktat ging nur stockend vorwärts, denn der Schreiber mußte Cædmon allenthalben bitten, einzelne Worte zu wiederholen. Entsetzt stellte er fest, daß die Sprache der Engländer vornehmlich aus gelispelten Zischlauten zu bestehen schien und insgesamt ein mißtönendes Gekrächz ergab, das sich eher nach einer schlimmen Halsentzündung denn einer Sprache von Christenmenschen anhörte.
»Monseigneur, ich finde keine Buchstaben für diese … Geräusche«, jammerte er.
William, der von Buchstaben nicht mehr Ahnung hatte als Cædmon und dem die Tragweite des Problems daher nicht bewußt war, hob abwehrend die Hand. »Macht es so gut wie Ihr könnt. Und jetzt weiter.« Als schließlich sowohl Brief als auch Rasur abgeschlossen waren, schien die Laune des Herzogs sich merklich gebessert zu haben. Vermutlich hat es ihm gutgetan, sich seinen Groll von der Seele zu reden, dachte Cædmon.
»Und was sagt Ihr, Cædmon? Habe ich recht oder nicht?«
Der junge Engländer hob verwundert den Kopf; das war eine seltsame Frage für den sonst so unnahbaren Herzog. »Ihr habt mit jedem Wort recht«, räumte er ein.
»Aber trotzdem ist Euch König Harold auf dem englischen Thron lieber als König William?«
Cædmon geriet in arge Bedrängnis. Beinah wünschte er, der Herzog würde ihn zurück in das Rattenloch im Keller schicken, statt ihn dieser Befragung zu unterziehen.
»Hättet Ihr wohl die Güte, mir zu antworten, Cædmon of Helmsby?« Cædmon sah ihn an. »Nein, Monseigneur. Mir ist er nicht lieber. HaroldGodwinson hat seinen König hintergangen, seinen Bruder verraten, meinen Vater erpreßt, mich im Stich gelassen und Euch betrogen. Ich halte ihn für keinen guten Mann und daher für keinen guten König. Aber ich bin sicher, die Witan und die meisten Menschen in England sind anderer Ansicht. Sie sehen in ihm den mutigen Heerführer, als der er sich ungezählte Male bewährt hat, den starken Mann, der England vor unwillkommenen Invasionen schützen wird, sei es aus Süden oder Norden. England will keinen fremden König und wird sich auch keinem fremden König unterwerfen.«
William hatte mit leicht geneigtem Kopf zugehört und schien jetzt tief in Gedanken versunken. Dann wandte er sich an den Schreiber: »Nun, Bruder Rollo, was sagt Ihr? Haben beide das gleiche diktiert?«
Der kleine Mönch sah stirnrunzelnd
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