Das zweite Königreich
Einer von Morcars Männern interessierte sich auch für ihn, der Captain der Wache. Sagt, er hätte noch eine Rechnung mit ihm und seiner kleinen, angelsächsischen Teufelin zu begleichen. Guck mich nicht so an, das hat er gesagt. Jedenfalls hat er erfahren, daß sie den Winter an Harald Hårderådes Hof verbracht haben. Gottverfluchte Verräter, alle beide«, schloß er grollend und spuckte auf den Boden.
Ælfric nickte, aber sein Zorn auf Hyld war längst verraucht. Er vermißte sie, und er bedauerte, wie er mit Guthric umgesprungen war, der ja überhaupt keine Schuld an den Ereignissen trug, nur der Überbringer der schlechten Nachricht gewesen war. Eine hilflose Trauer erfüllte ihn, wenn er an seine Tochter dachte, und in letzter Zeit erschien ihm der Zerfall seiner Familie mehr und mehr wie ein böses Omen.
»Jedenfalls, wenn es zur Schlacht mit Harald Hårderåde kommt, hoffe ich, meinen alten Freund Erik dort zu treffen«, sagte Dunstan grimmig. Ælfric schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Bedenke, worum du bittest, Dunstan …«
»Was soll das heißen?« fragte sein Sohn entrüstet. »Meinst du etwa, ich könnte es nicht mit ihm aufnehmen? Nur weil er mich letztes Jahr in Britford übertölpelt hat? Da war ich unachtsam, weil ich nicht damit gerechnet hab’, daß er sich von seinen Fesseln befreien könnte. Ich werde nie begreifen, wie ihm das gelungen ist. Wer weiß, vielleicht benutzt dieser Teufel magische Kräfte. Aber noch mal werde ich ihn nicht unterschätzen.«
»Nein, da bin ich sicher. Aber wie dem auch sei, wenn es zur Schlacht gegen Harald Hårderåde und Tostig kommt, werden wir ganz andere Sorgen haben als ihn.« Und wenn Dunstan Erik erschlüge, stünde Hyld ganz allein da mit ihrem Kind. Aber das konnte er natürlich nicht sagen.
Dunstan zögerte einen Moment, ehe er sich dazu durchrang, die bange Frage zu stellen, die ihn bewegte: »Denkst du … denkst du, König Harold kann Harald Hårderåde besiegen? Ich meine, man hört die unglaublichsten Geschichten über den König von Norwegen. Daß er nur mit seiner Leibwache einen Dänenüberfall zurückgeschlagen hat, zum Beispiel. In York erzählt man sich, er habe mit bloßer Hand einen Drachen getötet.«
Ælfric lächelte nachsichtig. »Du solltest nicht alles glauben, was du hörst, Dunstan. Schon gar nicht, wenn es um Drachen geht.«
»Ja, ich weiß, man sagt, es gibt keine echten Drachen mehr, aber gilt das auch für Norwegen?«
»Zugegeben, das kann man nie wissen«, räumte sein Vater ein. »Aber wie dem auch sei: Harald Hårderåde ist ein sterblicher Mensch, nichts weiter. Wenn auch ein hervorragender Soldat. Es ist ein Jammer, daß Morcar und Edwin ihn nicht aufhalten konnten. Harolds Rechnung ist nicht aufgegangen.«
»Wie meinst du das?« fragte Dunstan.
Ælfric warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Was glaubst du wohl, warum Harold letzten Sommer seinen Bruder Tostig hat fallenlassen? Damit das Haus von Mercia, also Edwin und Morcar, seinen Thronanspruch unterstützen und den Norden gegen einen Überfall aus Norwegen sichern.«
»Dann müssen wir eben tun, was ihnen nicht gelungen ist. Zumindest haben Edwin und Morcar Harald Hårderådes Heer geschwächt. Er hat viele hundert Männer verloren, heißt es, und die Überlebenden sind erschöpft.«
»Darum sollten wir sie stellen, ehe sie Gelegenheit haben auszuruhen. Reite zu, Dunstan. Wir müssen uns beeilen, aber ich will auf jeden Fall über Helmsby reiten, damit deine Mutter nicht im ungewissen ist.«
In nur vier Tagen stellte König Harold von England ein großes Heer auf und führte es nach Norden. Er marschierte durch York – das ihm bereitwillig, wenn auch ohne große Herzlichkeit die Tore öffnete –, und am fünfundzwanzigsten September stellte er Harald Hårderåde und Tostig bei Stamford Bridge. Er schickte einen Unterhändler ins feindliche Lager, der seinem Bruder Straffreiheit und teilweise Rückgabe seiner Ländereien versprach, wenn er sich besann und dem König von Norwegen die Gefolgschaft aufkündigte. Doch zum erstenmal in seinem Leben bewies Tostig Standhaftigkeit und Treue: Er erteilte seinem Bruder eine kühle Abfuhr. Es sollte sich als seine letzte Fehlentscheidung erweisen. Als der Bote König Harold die Nachricht brachte, befahl dieser umgehend den Angriff. Die Schlacht währte bis Sonnenuntergang. Als sie vorbei war, hatte England einen grandiosen Sieg errungen. Das blutige Schlachtfeld war übersät mit den Leibern gefallener
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