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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Nacken schwielig von Arbeit und Waffenübungen.
    Er richtete sich auf. »Wo ist Mutter?«
    Eadwig wies mit dem Daumen über die Schulter auf die Halle. »Drinnen. Sag, wie kommst du hierher, Cædmon? Bist du mit dem normannischen Heer gekommen? Ist es wahr, daß eine normannische Flotte an der Südküste gelandet ist? Hast du irgendwas von Vater gehört?«
    Cædmon nickte. »Komm, laß uns hineingehen.«
    »Was ist auf dem Karren?«
    »Komm schon, Eadwig.«
    Sein Bruder folgte ihm widerspruchslos die Stufen zum Eingang hinauf, warf ihm jedoch von der Seite bange und gleichzeitig neugierige Blicke zu.
    »Was ist in dem Beutel, den du da trägst?«
    »Eine Laute.«
    »Eine was?«
    »Ich zeig’ sie dir später.« Cædmon stieß die Tür auf, sah sie einen Augenblick irritiert an, weil sie nicht knarrte, und trat dann ein. In der Halle war es dämmrig wie immer. Ein großes Feuer brannte im Herd und erfüllte die Luft mit wohliger Wärme und dem Geruch nach brennendem Holz und trocknender Wolle. Ein rundes Dutzend Leute saßen an den Tischen, Mägde und Knechte, aber keine Housecarls. Sie waren vermutlich alle mit Ælfric nach Hastings gegangen.
    Ehe Cædmon noch einmal nach seiner Mutter fragen konnte, trat sie aus der Tür zur hinteren Kammer. Sie sah ihn sofort, machte instinktiv einen Schritt in seine Richtung, blieb dann abrupt stehen und schlug die Hände vor den Mund.
    »Cædmon …«
    Er trat zu ihr und schloß sie wortlos in die Arme. Sie war kleiner und zierlicher, als er sie in Erinnerung hatte. Was natürlich nur daran lag, daß er selbst gewachsen war, seit er sie zuletzt gesehen hatte, ging ihm auf. » Ma mère .«
    »Oh, Cædmon. Du hinkst nicht mehr.«
    »Nein. Das haben sie mir abgewöhnt.«
    »Was ist passiert? Woher kommst du?« fragte sie, ihre Stimme gedämpft, weil sie das Gesicht an seine Schulter gepreßt hatte.
    Er ließ sie nicht los. »Aus Hastings. Komm, laß uns nach nebenan gehen.«
    »Nein … Nein, nicht nach nebenan. Was ist passiert? Guthric schickte mir eine Nachricht. In Ely haben sie gehört, es habe eine große Schlacht in der Nähe von Hastings gegeben. William habe gesiegt, König Harold sei gefallen. Was weißt du, Cædmon?«
    Er führte sie zur Tür. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Eadwig folgte, aber er erhob keine Einwände. Sein Bruder mußte es schließlich auch erfahren.
    »Beides ist wahr«, sagte er. Vor der Tür blieb er auf der obersten Stufe stehen und drehte sie zu sich um, so daß sie sich direkt gegenüberstanden.Drei Tage lang hatte er darüber nachgedacht, wie er es ihr sagen sollte. Welche Worte man wählen konnte, um einer Frau und Mutter diese Nachricht zu überbringen. Anfangs hatte er sich lange Reden und Erklärungen zurechtgelegt. Aber er hatte sie alle verworfen. Es gab keine Worte, hatte er erkannt.
    Er ließ sie los und sah ihr in die Augen. »Vater und Dunstan sind tot.« Er nickte auf den Karren im Hof zu. »Ich bringe Vater nach Hause. Dunstan habe ich nicht finden können.«
    Marie schloß die Augen, rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Hinter seiner rechten Schulter hörte Cædmon einen erstickten Laut. Er wandte sich zu seinem Bruder um und zog ihn an sich. Eadwig krallte die Linke in seinen Mantel und weinte. Er preßte das Gesicht an Cædmons Brust, und Cædmon spürte die Hitze, die der magere Körper des Jüngeren ausstrahlte.
    Marie stieg die Stufen hinab und ging zum Karren hinüber. Mit langsamen, schlafwandlerischen Bewegungen kletterte sie auf die Ladefläche, legte die Hände an den Sargdeckel und versuchte, ihn beiseite zu schieben.
    Cædmon legte Eadwig den Arm um die Schultern und führte ihn zum Wagen.
    »Er wollte nicht, daß du ihn siehst«, sagte er seiner Mutter leise. »Ich habe den Sarg verschließen lassen.«
    Marie sank neben dem rohen Holzkasten auf die Knie und legte die Arme um Deckel und Seitenwand, als wolle sie den Toten umarmen. Sie preßte die Wange auf die harzigen Bretter und ließ die Söhne ihr Gesicht nicht sehen.
    »Komm, Eadwig«, murmelte Cædmon und führte seinen Bruder zurück in die Halle.
    Eadwigs magere Schultern bebten immer noch. Er versuchte, sich zu beherrschen, aber ohne großen Erfolg. Sie setzten sich abseits von den Leuten auf eine Bank nahe des Feuers, und Cædmon wartete geduldig, daß sein Bruder die Fassung wiederfand. Die Mägde warfen ihm neugierige, unsichere Blicke zu und tuschelten. In einer dunklen Ecke im hinteren Teil der Halle entdeckte er Edwina und Hergild, zwei der

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