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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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da anknüpfen, wo sie sich getrennt hatten.
    »Du warst bei Hastings?« wollte Guthric wissen.
    »Ja.«
    »Erzähl mir davon.«
    »Nein, lieber nicht. Ich muß Mutter und Hyld und Eadwig auch davon erzählen. Und ich will das wirklich nicht alles zweimal aufleben lassen.«
    »So schlimm war es?«
    »Grauenvoll«, gestand Cædmon leise.
    »Dann erzähl mir von Rouen. Wie hast du gelebt? Wer war der außergewöhnlichste Mensch, dem du begegnet bist?«
    »Oh, das ist wirklich schwer zu sagen. Wulfnoth Godwinson vielleicht. Er ist Harolds Bruder und lebt seit beinah fünfzehn Jahren als Geisel an Williams Hof. Er ist so duldsam wie ein Engel und doch so schlau wie der Teufel. Er weiß alles, er kennt jeden, er beobachtet unbemerkt und durchschaut die geheimsten Absichten. Und er hat mir das Lautespielen beigebracht. Oder Etienne fitz Osbern, der Sohn des Seneschalls. Sein Vater ist ein sehr mächtiger Mann, aber Etienne ist ein wunderbarer Freund. Er hat immer zu mir gestanden, vom ersten Tag an. Obwohl wir so verschieden sind, wie zwei Menschen nur sein können. Oder Herzog William selber. Ich habe nie jemanden gesehen, der so tiefe Frömmigkeit und so eiskalte Grausamkeit in sich vereint. Er weist keinen Bettler von der Tür, aber wer in seinem Wald wildert, den läßt er blenden oder kastrieren oder beides. Und dann natürlich Aliesa …« Ehe er so recht wußte, wie ihm geschah, hatte er Guthric alles von ihr erzählt, von ihrer Schönheit und ihrer Sanftmut, vom Rabenflügelglanz ihrer Haare, ihrer Bildung und von ihrem Bruder.
    Guthric lauschte ihm aufmerksam, bis sie vor der kleinen St.-Wulfstan-Kirche standen, und schließlich sagte er mit einem leicht verwunderten Lächeln: »Du bist ein Normanne geworden, Cædmon.«
    »O nein.« Cædmon schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Vielleicht wäre es besser, wenn du recht hättest. Aber ich bin Engländer.« Und damit stieß er die hölzerne Tür auf, und sie traten ins dämmrige Halbdunkel vor den Sarg ihres Vaters.
    Am nächsten Morgen begruben sie Ælfric of Helmsby bei typisch naßkaltem Beerdigungswetter auf dem kleinen Friedhof, der St. Wulfstan umgab, im Schatten einer uralten Eiche und an der Seite seines Großvaters, des legendären Ælfric Eisenfaust. Alle Leute aus Helmsby waren zugegen, auch aus Metcombe waren viele gekommen. Ælfric war ein guter Thane und ein fairer Sheriff gewesen, und sie legten Wert darauf, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Viele weinten, als der grobgezimmerte Sarg in die Erde gelegt wurde.
    Vater Cuthbert stammelte und radebrechte durch die Zeremonie. Guthrics Anwesenheit machte ihn nervös, er fürchtete – völlig zu Recht –, daß der junge Novize sein unsinniges Kauderwelsch, das alle anderen für Latein hielten, durchschaute. Guthric hatte seine liebe Mühe, während der Beerdigung des Vaters nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
    Tatsächlich schien Guthric am wenigsten von Ælfrics Tod berührt. »Sicher liegt es daran, daß du Gott näher bist als wir«, mutmaßte Cædmon, als sie auf dem Heimweg waren.
    Guthric wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, ob ich das bin. Aber zwischen Vater und mir war keine Liebe, Cædmon. Dabei habe ich mich wirklich bemüht. Doch mehr als Pflichtgefühl habe ich nie zustande gebracht. Ich kann nicht ehrlich behaupten, daß er mir fehlen wird. Und was Dunstan betrifft … Die Welt wird ein klein wenig besser sein ohne ihn.«
    Cædmon spürte einen Stich. »Es ist furchtbar, was du da sagst.«
    »Aber wahr. Frag Erik.«
    »Die Meinung eines dänischen Piraten über meinen Bruder ist für mich ohne Belang.«
    »Dieser dänische Pirat ist ein Großneffe des unlängst verstorbenen Königs von Norwegen.«
    Cædmon blieb stehen. »Er ist was?« fragte er fassungslos.
    Guthric nickte nachdrücklich. »Was an der Maßgeblichkeit seiner Meinung wenig ändert. Und er mag ein Draufgänger und Glücksritter sein, aber er betet unsere Hyld an, er hat seinen Eid an Harald Hårderåde mit größter Gewissenhaftigkeit erfüllt, und er hat Dunstan geschont, als er endlich die Chance hatte, es ihm heimzuzahlen, nur weil Hyld ihn darum gebeten hat. Ich würde sagen, alles in allem ein guter Mann, unser Schwager.«
    »Woher weißt du das alles?« fragte Cædmon verwundert.
    »Sie hat in Ely haltgemacht, als sie mit ihm von Stamford Bridge zurückkam. Aber auch der Bruder, der bei uns die Kranken pflegt, wagte sich an den Pfeil nicht heran. Also hat sie nur ein paar Stunden ausgeruht und ist dann

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