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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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dafür sind sie sehr bewandert in allen Lastern, die je ersonnen wurden.«
    Cædmon räusperte sich. »Sie sind verheiratet, Sire. Das ist alles.«
    William fegte den Einwand ungeduldig beiseite. »Schlimm genug! Der Papst hat es verboten, und ich werde dieses Verbot durchsetzen. Und wenn die englischen Priester sich nicht fügen, wird jeder einzelne durch einen normannischen ersetzt!«
    Cædmon stellte sich einen der affektierten, aufgeblasenen normannischen Geistlichen in St. Wulfstan in Helmsby vor und in der armseligen, hölzernen Kate, die Vater Cuthbert, seine Familie und sein Vieh beherbergte.
    »Ich bin sicher, der normannische Klerus würde sich mit dem üblichen Feuereifer auf diese Aufgabe stürzen«, bemerkte er trocken.
    William zeigte sein seltenes Lächeln. »Ja, bestimmt.« Er sah zu seinen Söhnen und machte eine auffordernde Geste. »Verschwindet. Ich möchte einen Moment allein mit Cædmon reden.«
    Richard und Rufus sprangen auf, verneigten sich formvollendet vor dem König und ihrem Lehrer und gingen davon.
    William schien sie augenblicklich zu vergessen. »Schlechte Nachrichten, Cædmon.«
    Cædmons Herz sank. »Die Dänen?«
    Der König nickte knapp. »Über zweihundert Schiffe, heißt es. Herrgott, was wollen die Dänen nur immerzu in England?«
    Cædmon antwortete nicht.
    William hob entrüstet das Kinn. »Ihr wollt nicht im Ernst sagen, der Dänenüberfall sei auch nur irgendwie mit meiner Eroberung Englands vergleichbar?«
    »Ich sage überhaupt nichts, Sire.«
    »Weil Ihr meint, daß ich Euch nicht hängen kann für das, was Ihr denkt.«
    Richtig, dachte Cædmon, aber was er sagte, war: »Ich glaube, darauf möchte ich mich lieber nicht verlassen.«
    Der König verzog amüsiert die Lippen, wurde aber gleich wieder ernst. »Sie kommen unter dem Befehl von König Svens Söhnen und seinem Bruder. Ich weiß nicht genau, wann sie kommen, aber sicherlich bald.Reitet nach Hause, bewaffnet Eure Leute und macht Euch bereit, die Küste zu verteidigen.«
    Cædmon war verblüfft. »Aber denkt Ihr nicht, sie werden den Humber hinaufsegeln und in Northumbria landen?«
    »Wo die Menschen sie willkommen heißen und ihnen jubelnd die Stadttore öffnen werden, meint Ihr, ja? Nun, gut möglich, daß sie das tun werden. Aber vielleicht hoffen sie auch, daß wir genau das annehmen und nach Norden ziehen, und sie fallen in Kent ein, während der Süden entblößt ist. Ich weiß es nicht. Ich will auf alle Fälle vorbereitet sein.«
    Cædmon nickte. »Wann wünscht Ihr, daß ich gehe?«
    »Morgen.«
     
    Er war erleichtert, aus Winchester zu entkommen. An jedem Abend in der Halle, bei jedem Jagdausflug fühlte er sich wie ein Verdurstender, dem man einen Becher Wasser vorhält, ganz nah, aber doch außerhalb seiner Reichweite. Er war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß er sich alles nur eingebildet hatte, was er am Abend ihrer Ankunft in Aliesas Blick zu sehen geglaubt hatte. Denn obwohl sie jetzt beinah jeden Abend nach dem Essen zusammen musizierten, war es nie wieder passiert. Aliesa setzte sich zu ihm auf die Kaminbank, aber doch ein gutes Stück von ihm entfernt, und wenn sie sang, schaute sie ihn nicht an. Ihr Blick schien vielmehr nach innen gerichtet.
    Für Cædmon waren es die glücklichsten Momente des Tages. Er war natürlich niemals allein mit ihr, sie hatten immer eine größere oder kleinere Zuhörerschar, und trotzdem war es etwas, das er nur mit ihr teilte, so als hüteten sie zusammen ein Geheimnis. Er ergab sich all den körperlichen Empfindungen, die ihre Nähe auslöste, malte sich aus, was er ihr alles sagen würde, wenn die Dinge anders stünden, stellte sich vor, wie sie auf seine Eröffnungen reagieren würde, sah jedes einzelne ihrer Gefühle in ihrem wundervollen Gesicht widergespiegelt. Vor seinem geistigen Auge. Wahrhaftig hingegen sah er, wie ihr lilienweißer Hals im flackernden Feuerschein schimmerte, sah ihren herrlichen Mund Worte formen – und weil die meisten Lieder ja doch von nichts anderem handelten, waren es nicht selten Worte der Liebe.
    Es war himmlisch, und er trank alles gierig in sich auf und verdurstete trotzdem. Die ersten Anzeichen waren schon erkennbar. Beim Rasieren sah ihn ein bleiches Gespenst mit dunklen Schatten unter den Augenaus dem Spiegel an, die Folge seiner zunehmenden Schlaflosigkeit. Er war rastlos und unausgeglichen, und Etienne hatte bemerkt, er sehe mit jedem Tag blasser aus, und sich besorgt erkundigt, ob Cædmon krank sei.
    Ja, Etienne,

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