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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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fast durchsichtig. Die grünen Augen waren immer noch geweitet, ihr Blick wirkte rastlos. Cædmon spürte einen so übermächtigen Drang, sie in die Arme zu schließen und zu trösten, zu beruhigen, zu beschützen, daß es fast körperlich weh tat, ihm zu widerstehen.
    Ganz und gar nicht trostbedürftig war hingegen ihr Schützling. Der knapp zweijährige Prinz war von den erschrockenen Gesichtern der Erwachsenen wenig beeindruckt; er weinte nicht und zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht.
    Etienne hockte sich zu ihnen und legte seiner Frau einen Arm um die Schultern. »Alles heil, Cædmon?«
    Cædmon winkte beruhigend ab. »Kein Kratzer. Dank Eadwig.«
    Sein Bruder stand mit seinen Gefährten in einem ungleichmäßigen Kreis um die kleine Gruppe im Sand herum und lächelte scheu. Er hielt den Wallach am Zügel und fuhr ihm mit der Linken sanft über die Nüstern; es war eine verlegene Geste. Eadwig war schüchtern; es war ihm verhaßt, im Mittelpunkt zu stehen.
    Cædmon fand, es sei Zeit, der Szene ein Ende zu machen. Er stand auf, klopfte sich den Sand von der Kleidung und hob den kleinen Prinzen zu sich hoch. »Was hast du dir nur gedacht, Henry fitz William? Selbstdu solltest schon wissen, daß man einem galoppierenden Pferd nicht in die Quere kommt. Es ist gefährlich.«
    Henry sah ihm in die Augen. Die seinen waren groß und dunkel, ernste, unwiderstehliche Kinderaugen. Er nickte, bedächtig, aber nicht zerknirscht.
    »Einen Sack Flöhe zu hüten ist ein Kinderspiel, verglichen mit Henry«, grollte Aliesa und erhob sich ebenfalls.
    »Wo ist seine Amme?« fragte Etienne.
    »Krank«, erwiderte sie knapp. »Langsam verstehe ich, warum …«
    »Nun, du solltest die Königin bitten, bis zur Genesung der Amme eine andere ihrer Damen mit Henrys Betreuung zu beauftragen. Es ist zu anstrengend für dich«, sagte Etienne, und Cædmon war sicher, er fügte in Gedanken hinzu: in deinem Zustand. Aber davon sprach man in Gesellschaft nicht – es war nicht schicklich.
    Aliesa seufzte. »Leider ist Henry äußerst wählerisch, was Frauen angeht. Ist es nicht so, Engel? Außer deiner Mutter, deinen Schwestern und mir bist du keiner geneigt, oder?«
    Henry strahlte sie vertrauensvoll an, so daß Cædmon und Etienne lachen mußten. Henry stimmte mit einem verschwörerischen Kichern ein.
    Aliesa betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Ja, lach nur, Bengel. Wenn die Königin hiervon erfährt, werden wir beide allerhand zu hören bekommen.«
    Cædmon reichte ihr den Jungen. Henry legte sofort die Arme um ihren Hals und den Kopf an ihre Schulter. Cædmon beneidete ihn.
     
    Nur ein kleiner Kreis fand sich an diesem Abend in der Halle ein – kaum mehr als dreißig Menschen saßen an den langen Tischen. Nachdem Cædmon die Königin begrüßt und ihr zum Tod des Bruders kondoliert hatte, zog er sich, wie versprochen, mit Etienne in einen stillen Winkel zurück, und sie sprachen über Ely, über das Maine und Flandern und den König von Frankreich. Dann schickte Cædmon Eadwig nach seiner Laute und spielte leise für sich ein paar Balladen. Er genoß den ruhigen Abend unter all diesen vertrauten Menschen, aber er war nicht unbeschwert. Er hatte beinah vergessen, wie es war, unbeschwert zu sein. Aliesa mied ihn, setzte sich nicht zu ihm, als er die Laute kommen ließ, wie sie es früher so oft getan hatte, und zog sich früh zurück. Sie wirkte bleich und erschöpft. Er fragte sich, ob der kleine Zwischenfallvom Nachmittag ihr immer noch zusetzte oder ob es andere Gründe gab.
    »Ist deine Frau nicht wohl?« fragte er Etienne schließlich.
    Der junge fitz Osbern hob kurz die Schultern. »Doch, ich denke schon.« Ein stolzes Grinsen stahl sich in sein Gesicht. »Sie erwartet ein Kind.«
    Cædmon hatte seine Reaktion auf diese Eröffnung sorgsam einstudiert. Er lächelte breit. »Tatsächlich?«
    Etienne nickte, beinah scheu. »Sie leidet viel an Schwindel und Übelkeit, aber der Arzt sagt, das sei zu erwarten gewesen, weil sie so zierlich ist.«
    Cædmon legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Es fühlte sich an, als sei es die Hand eines Fremden. »Ich wünsche euch Glück und Gottes Segen, Etienne.«
    »Danke. Ich … bin erleichtert, weißt du. Ich dachte schon, irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Dreieinhalb Jahre und immer noch nicht guter Hoffnung.«
    Cædmon nickte wortlos.
    Etienne sah ihn an und lachte verlegen. »Mach kein so ernstes Gesicht. Jetzt ist ja alles in Ordnung.«
    Das will ich hoffen, dachte Cædmon, doch ehe er antworten

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