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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wollte Roland wissen.
    »Ich hätte nie gedacht, daß ein so häßlicher Kerl wie du eine so schöne Schwester haben könnte.«
    Roland grinste gutmütig. »Ja, ja. Schönes Kind, unsere Beatrice. Aber eine Zunge wie eine Distel.«
    »Tatsächlich?«
    »Dann ist sie nicht die Richtige für Cædmon«, meinte Etienne. »Die Engländer lassen sich von ihren Frauen viel zu viel bieten. Die Frau meines Wildhüters in Cheshire schlägt ihren Mann jeden Freitag grün und blau.«
    Roland und Cædmon lachten.
    »Vermutlich besteht er darauf«, mutmaßte Cædmon. »Weiter, Roland. Erzähl mir von Beatrice.«
    Roland hob kurz die Schultern. »Wenn ich ehrlich sein soll, muß ich sagen, ich kenne sie kaum. Sie ist die jüngste von uns allen. Und sie war noch winzig, als mein Vater mich an den Hof in Rouen schickte. Ein entzückender, blonder Engel war sie. Damals schon. Im Jahr der Eroberung kam sie ins Kloster, und sie ist erst vor ein paar Monaten nach England gekommen. Sie verabscheut London. Ich fürchte, sieverabscheut England. Vielleicht wird es besser, wenn sie auf dem Land lebt.« Aber er klang nicht sehr überzeugt.
    Cædmon nickte wortlos. Und ausgerechnet sie verheiratest du mit einem Engländer, William, dachte er verdrießlich. Gut gewählt. Das arme Kind …
    Er ließ sich ein paar Längen zurückfallen, bis er neben Baynards normannischem Falkner auskam, sprach kurz mit ihm, streifte seinen eigenen Schutzhandschuh über und nahm dem Mann den Terzel ab, der stockstill auf seinem ledergeschützten Handgelenk hockte. Dann trabte er fast bis an die Spitze des Reiterzuges und fiel neben Beatrice in Schritt.
    »Ich bringe Euch Euren Vogel, Madame. Vielleicht noch eine halbe Meile, dann kommen wir an einen Bach. Dahinter liegt eine große Lichtung, wo es nur so von Beute wimmelt. Hasen, Wachteln, Fasane und anderes mehr.«
    Sie neigte leicht den Kopf. »Danke, Thane. Ihr kennt Euch gut aus. Stammt Ihr aus dieser Gegend?«
    Offenbar hatte niemand sich die Mühe gemacht, ihr etwas über ihren Bräutigam zu erzählen. Er schüttelte den Kopf. »Meine Güter und meine Burg liegen in East Anglia, zwei Tagesritte nordöstlich von hier. Aber seit der Eroberung habe ich viel Zeit im Haushalt des Königs verbracht, war also oft hier in Winchester.«
    Sie nickte ernst. Es schien, als lächele sie nicht häufig. Cædmon erzählte ihr ein wenig von East Anglia und von Helmsby, wobei er die vielen Sümpfe und die noch zahlreicheren Mücken vernachlässigte. Er wollte versuchen, ihre Furcht zu mildern. Und er fragte sie nach ihrer Heimat, ihrem Leben in der Normandie. Dabei hatte er in Wahrheit nicht das geringste Interesse an diesem Mädchen. Er betrachtete ihr hübsches, frisches Gesicht, während sie sprach, und nichts regte sich in ihm. Er wollte sie nicht. Und er erkannte an ihrer verkrampften Haltung und dem angedeuteten Stirnrunzeln, daß es ihr ebenso erging. Aber weder sie noch er wurden nach ihren Wünschen befragt. Ihr Vater und der König hatten entschieden, daß sie heiraten sollten, und Cædmon kannte William gut genug, um zu erkennen, wenn sein Entschluß unumstößlich war. Er konnte dieses nichtssagende, langweilige Geschöpf heiraten oder sich ein zweites Mal gegen den König auflehnen. In Wahrheit blieb ihm also überhaupt keine Wahl.
    Die stockende Unterhaltung versiegte bald. Der Wald war erfüllt vonVogelstimmen, sie hallten betörend durch die klare Sommerluft. Glockenblumen und Wildrosen blühten zwischen üppigen Farnen, und am Bachufer wuchs dichtes, federndes Gras. Doch Beatrice hatte keinen Blick für die Schönheit der englischen Landschaft – nicht einmal an einem Tag mit einem so untypisch strahlenden Sommerhimmel.
    Auf der Wiese jenseits des Flüßchens hielten sie an, und die Falkner übergaben die kostbaren Vögel ihren Eigentümern und streiften dann durch das hüfthohe Gras der Lichtung, um die Beute aufzuscheuchen. Etienne und Roland holten auf und gesellten sich zu Cædmon und seiner Braut.
    Etienne zog seinem Falken die Haube vom Kopf, strich ihm liebevoll über die weiße Brust und sagte: »Diesen Vogel schlägst du nicht, Cædmon.«
    »Wenn du es sagst …«
    »Er stammt aus der Lombardei. Mein Bruder Guillaume hat ihn mitgebracht, als er letztes Jahr aus Apulien zurückkam, und ihn mir geschenkt.«
    Cædmon betrachtete den Vogel zum ersten Mal eingehend. Er war eine Spur kleiner als hiesige Falken, aber er wirkte ungeheuer behende, auf eine ganz besondere Weise königlich. Was für ein

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