Das zweite Königreich
Beatrice an seiner linken Seite in Gang zu halten, aber er war nicht wirklich bei der Sache. Sein Blick, all seine Sinne waren vollkommen auf Aliesa konzentriert, und als sie aufstand und gute Nacht sagte, erhob er sich ebenfalls, scheinbar zufällig, ging zum unteren Ende des Tisches, wo sein Bruder saß, und als er an ihr vorbeikam, raunte er: »Ich warte in der Kanzlei auf dich. Komm, wenn du kannst.«
Sie kam.
So lautlos wie ihr Schatten schlüpfte sie über die Schwelle, zog die Tür hinter sich zu, und er löste sich aus der Dunkelheit hinter einem der Schreibpulte, schloß sie in die Arme und bedeckte ihr Gesicht mit kleinen Küssen.
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst lange fort.«
»Es gab unerwartete Probleme.«
»Probleme?«
Er atmete tief durch, sog den Duft ihrer Haare ein. »Das ist jetzt nicht wichtig. Nur du bist wichtig. Was fehlt dir?«
»Nichts«, sagte sie leise. »Wir bekommen ein Kind, Cædmon.«
»Ja, ich weiß.«
»Und du heiratest Beatrice Baynard.«
Er machte sich los und wandte sich beschämt ab. »Was soll ich tun, Aliesa? Der König will es so.«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Du kannst nichts tun.«
Er drehte sich wieder zu ihr um. »Sie bedeutet mir nichts.«
»Dann ist sie zu bedauern.«
Er tat es mit einem Schulterzucken ab. »Sind wir das nicht alle?«
Sie lachte leise. »Du hast recht. Alle sind wir Wachs in Williams großen Händen. Er wollte eine Verbindung zwischen fitz Osbern, dem verläßlichsten all seiner Vertrauten, und Guy de Ponthieu, dem wankelmütigsten seiner Vasallen, also was lag näher als die Ehe zwischen Etienne und mir? Jetzt will er sichergehen, daß du ihm nicht noch einmal davonläufst, will deine Position stärken, damit du viel zu verlieren hättest, will dich bestechen. Also knüpft er eine vorteilhafte Verbindung für dich. Es ist normal – so werden Ehen geschlossen. Nur für sich selbst hat er das Privileg in Anspruch genommen, die Frau zu heiraten, die er wollte.« Sie sprach ohne Bitterkeit, stellte lediglich Tatsachen fest.
Cædmon setzte sich auf den Boden, zog sie zu sich herab, und sie lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust. Er schlang die Arme um sie und fuhr mit den Lippen über ihren Nacken. »So wie Wulfnoth die Geschichte erzählt, hat William Matilda geheiratet, weil er ein Bündnis mit Flandern wollte. Es war nur ein Zufall, daß sie sich verliebt haben.« Sie nickte. »Gut möglich. Ich habe mir schon oft gedacht, daß ein solcher Schritt wirklich überhaupt nicht zu ihm paßt. Und wer weiß. Vielleicht wird es dir und Beatrice genauso gehen.«
Er zog sie fester an sich. »Wieso sagst du das? Du weißt genau, daß das niemals passieren wird.«
Sie lächelte. »Ja. Ich weiß.«
Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen zu sagen, daß es doch alles keinen Sinn hatte, daß ihre Schwangerschaft die Lage bedenklich komplizierte, daß sie keine Zukunft hatten und ein Ende machen sollten, ehe es einen Skandal mit unabsehbaren Folgen gab. Unabsehbare Folgen für sie beide, für Etienne, der ihnen beiden am Herzen lag, und jetzt auch für Beatrice Baynard. Aber sie sagten nichts von alledem. Das taten sie nie.
»Erzähl mir, was dir in Ely passiert ist, das dich so erschüttert hat«,verlangte sie statt dessen. Und das tat er. Er offenbarte ihr weit mehr, als er Etienne berichtet hatte. Von seiner Zerrissenheit, seiner widerwilligen Bewunderung für Hereward, und er erzählte ihr alles von Dunstan.
»Guthric hat immer gewußt, wie Dunstan wirklich ist«, schloß er. »Ich nicht. Oder zumindest war es mir nicht bewußt. Aber als ich ihn wiedergesehen habe … als mir klar wurde, daß er nicht tot ist, daß er leibhaftig vor mir stand …« Er brach ab.
»War deine Freude nicht so ungetrübt, wie du dir gewünscht hättest?« mutmaßte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Hundert Dinge schossen mir gleichzeitig durch den Sinn. Daß alles wieder so werden würde wie früher, ich ihm wieder ausgeliefert sein würde. Es ist seltsam, früher habe ich mich nie ausgeliefert gefühlt, aber auf einmal wurde es mir klar. Und daß er mir alles wegnehmen würde. Helmsby, die Burg, meine Stellung – so bescheiden sie auch sein mag –, alles, wofür ich so hart gearbeitet habe, wofür ich Opfer gebracht habe. Nein, ich war nicht erfreut. Ich war entsetzt.«
»Das ist kein Grund, beschämt zu sein, Cædmon, denn dein Entsetzen war durchaus gerechtfertigt. Dein Bruder Guthric hatte recht.
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