Das zweite Königreich
keinen Fall tun. William ist bestimmt kein geduldiger Gläubiger. Es wird uns nichtsanderes übrigbleiben, als den Gürtel ein wenig enger zu schnallen. Laß uns ausrechnen, wieviel Stück Vieh wir voraussichtlich problemlos über den Winter kriegen, sowohl hier als auch auf den anderen Gütern. Den Rest verkaufen wir. So spät wie möglich, wenn die Preise schon ordentlich gestiegen sind. Das bringt uns Bargeld. Das gleiche machen wir mit den Schafherden. Wir dünnen sie ein bißchen aus. Sprich mit den Schäfern, sie wissen genau, welche Tiere nur wenig Wolle bringen oder tote Lämmer gebären und so weiter, und die verkaufen wir. Im Winter, nachdem der erste Schnee gefallen ist. Nicht vorher.«
Alfred nickte langsam. »Wenn die nächsten ein, zwei Jahre besser werden und wir keine Lämmer und Kälber verkaufen müssen, kämen wir bald wieder auf die alten Viehbestände.«
Cædmon lächelte. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber wer weiß, vielleicht hast du recht und es geht tatsächlich so schnell wieder aufwärts.« Sie kamen durch das sumpfige kleine Wäldchen zurück zur Burg. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. »Wo ist dein Vater?« erkundigte sich Cædmon.
Alfred seufzte. »Bei Tante Edith in Blackmore.«
»Was denn, in der jämmerlichen Bauernkate?«
»In der jämmerlichen Bauernkate. Er reitet oft hin, weißt du. Er sagt, hin und wieder muß er unter echten Angelsachsen sein, und dafür nehme er die Gesellschaft ihrer Ziege und ihrer paar Hühner gern in Kauf. Die Wahrheit ist wohl, daß Vater und Tante Edith gern einen zusammen heben und gern zusammen ins Bett gehen und ebenso gern in gemeinsamen Erinnerungen schwelgen. Er versucht, ihren Söhnen eine Vorstellung dessen zu vermitteln, was und wer sie eigentlich sind, ihnen ein bißchen Stolz zu geben. Na ja, und als deine Mutter in Aussicht stellte, die Halle und all ihre Bewohner anläßlich des Besuchs deiner Braut einer Grundreinigung zu unterziehen, hat er schleunigst das Weite gesucht. Ich hoffe, du nimmst ihm das nicht übel. Er läßt dir ausrichten, er wünscht dir und deiner Braut Gottes Segen.«
»Danke. Den haben wir nötig«, bemerkte Cædmon trocken.
Vor dem Essen begrüßte Cædmon seine Housecarls und deren Familien. Von den Männern, die einst seinem Vater gedient hatten, war einzig Cynewulf übrig. Die meisten anderen waren bei Hastings gefallen, in den Jahren danach gestorben oder hatten sich Hereward in Elyangeschlossen. Der wackere Ohthere war mit Hyld und Erik nach York gegangen und fuhr nun unter Erik zur See.
Die neuen Housecarls, die Cædmon in seinen Dienst genommen hatte, waren entweder Söhne der Männer seines Vaters, oder aber sie stammten aus reicheren, angesehenen Bauernfamilien. Und der Begriff Housecarl trifft kaum mehr auf sie zu, dachte er, als er sie an diesem Abend so betrachtete. Sie hatten mehr Ähnlichkeit mit normannischen Rittern als mit angelsächsischen Kriegern. Genau wie er selbst und Alfred trugen sie keine Bärte, zwei hatten sich gar die Haare nach normannischer Sitte geschoren, und sie alle bevorzugten normannische Kettenpanzer und Helme, die sie jetzt natürlich nicht trugen. Sie hießen Cædmon mit tadellosem Respekt willkommen und fragten ungeduldig, wann er sie endlich mit auf einen Feldzug nehmen werde. Sie wußten, daß Helmsby dem König im Bedarfsfall sieben voll ausgerüstete Ritter stellen mußte, und offenbar konnten sie es kaum erwarten. Aber sie ahnten ja auch nicht, wie der Krieg war, rief Cædmon sich ins Gedächtnis. Außer der Schlacht von Metcombe letzten Sommer hatten sie noch kein Gefecht gesehen.
Er unterhielt sich eine Weile mit ihnen, begrüßte ihre Frauen und bewunderte ihre Kinder und sah sich derweil suchend nach Gytha um. In der Halle war es dämmrig geworden; der unerwartete Regen am Nachmittag hatte das Feuerholz für den Abend durchnäßt, so daß es stärker als gewöhnlich rauchte. Darum entdeckte er Gytha erst, als sie zur Köchin an den Herd trat und ihr half, den schweren Topf vom Haken zu heben.
Unauffällig schlenderte er zu ihr hinüber.
Sie nahm einen Stapel Zinnteller von dem schmalen Tisch an der Wand und stützte ihn auf ihre Hüfte. »Da bist du also«, sagte sie. Wie immer.
Er lächelte sie an. »Wie geht es Ælfric?«
»Gut. Er läuft und kann deinen Namen sagen. Aber deine Mutter will ihn in ein Kloster stecken.«
Er runzelte die Stirn, äußerte sich für den Moment jedoch nicht dazu. Er hatte seine Braut aus dem Augenwinkel
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