Das zweite Königreich
eintreten sehen und wollte nicht zu lange hier stehenbleiben. »Wir sollten ein bißchen diskret sein, Gytha. Komm, wenn alles schläft.«
»Meinst du wirklich, das wäre klug?«
»Sie wird es bestimmt nicht merken.«
Gytha deutete ein Nicken an und ließ ihn stehen, um die Teller auf die Tische zu stellen.
Cædmon trat Beatrice entgegen und führte sie und Tante Yvetta zur Mitte der hohen Tafel. »Ich hoffe, Ihr hattet einen angenehmen Nachmittag, Madame?« fragte er höflich.
Beatrice lächelte angestrengt. »Danke.«
Also nein, schloß er. Nun, er konnte nicht sagen, daß ihn das verwunderte. Er sah zu seiner Mutter, die fast unmerklich das Kinn hob, ehe sie die Hände zum Tischgebet faltete.
Trotz der drohenden Knappheit hatte man für diesen Abend an nichts gespart: An der hohen Tafel zumindest wurden knusprig gebratener Eichelhäher, gefüllte Putenbrüstchen, fettes Rindfleisch und würzige Pilze serviert, während an den übrigen Tischen der gewöhnliche Kohleintopf aufgetragen wurde.
Beatrice speiste mit sichtlichem Genuß. Cædmon hatte schon beobachtet, daß sie gern aß. Vermutlich wird sie eines Tages fett, dachte er und unterdrückte ein Seufzen.
»Ich bin froh, daß die Künste meiner Köchin Euch zusagen, Madame«, bemerkte er mit einem, wie er hoffte, höflichen Lächeln.
Beatrice nickte. »Trotzdem werde ich einen normannischen Koch engagieren, wenn … wenn es soweit ist.«
Ich hoffe, deine Mitgift ist groß genug, daß wir ihn uns auch leisten können. »Diese Dinge bleiben selbstverständlich allein Euch überlassen, Beatrice.«
»Ihr werdet mir völlig freie Hand lassen?«
»Natürlich.« Innerhalb vernünftiger Grenzen jedenfalls, fügte er in Gedanken hinzu.
Ihre Miene hellte sich ein wenig auf, aber es währte nur so lange, bis Tante Yvetta bemerkte: »Hier wirst du also leben.« Es hörte sich an, als sei die Halle eine Lasterhöhle und Helmsby die ewige Verdammnis. Beatrice schwieg betroffen.
»Nun, East Anglia ist nicht so mild wie Cornwall«, räumte Cædmon ein. »Nicht so waldreich wie Sussex oder so hügelig wie Kent. East Anglia hat vor allem Wasser. Es bedeutet Sümpfe und Mücken und Fieber, aber ebenso fruchtbares Land, das etwas einbringt.« Wenn vielleicht auch nicht dieses Jahr …
Yvetta beschränkte sich auf ein vielsagendes Hohnlächeln, doch Beatrice schien ein wenig getröstet. »Ich bin sicher, ich werde mich darangewöhnen«, sagte sie bestimmt. Es klang, als wolle sie vor allem sich selbst überzeugen.
Cædmon zwinkerte ihr anerkennend zu. »Ganz gewiß, Madame. Es wird erträglicher, je besser man es kennt, glaubt mir.«
Sie führte den Becher an die Lippen, um zu verbergen, was immer ihr durch den Kopf ging.
»Gibt es keine Musik in Eurer Halle, Cædmon?« fragte sie schließlich, als sie wieder abgesetzt hatte. Der Wein aus Burgund, den er zur Feier des Tages hatte anstechen lassen, war ihr zu Kopf gestiegen und hatte ihre Wangen gerötet. Sie ist wirklich schön, mußte er gestehen. Zumindest in der Hinsicht konnte er sich glücklich schätzen. Denn wenn die Pläne des Königs es so vorgesehen hätten, hätte auch ebenso Tante Yvetta sein Los sein können.
»Doch, es gibt gelegentlich Musik in meiner Halle, Madame. Ine.« Er winkte den Jungen zu sich, der gerade mit einem frischen Krug Wein aus der Vorratskammer heraufkam, ihn an Gytha reichte und dann zu Cædmon trat. »Thane?«
»Lauf nach oben in meine Kammer und bring mir die Laute.«
Ine war in Windeseile zurück. Voller Ehrfurcht trug er das kostbare, fremdländische Instrument vor sich her. Er reichte es Cædmon mit beinah komischer Vorsicht, so konzentriert darauf, daß er mit dem länglichen Hals nur ja nirgendwo anstieß, daß er nicht darauf achtete, was seine knochigen Ellbogen anrichteten, und prompt streifte er Beatrice’ vollen Weinbecher, der umkippte und seinen roten Inhalt über ihr safrangelbes Kleid ergoß.
Sie fuhr wie gestochen von der Bank auf und verpaßte dem Unglücksraben eine schallende Ohrfeige.
Ine zuckte erschrocken zurück und ließ die Laute fallen. Cædmon fing sein geliebtes Instrument im letzten Moment auf und verhinderte so, daß es auf die Tischkante schlug. Er schnalzte mißbilligend. »Tölpel.«
»Ich bitte um Verzeihung, Thane«, stammelte Ine.
»Ja, ja. Schon gut. Ich glaube, es ist besser, du machst dich rar.«
Der Junge zog sich erleichtert zurück.
Beatrice stand immer noch wie erstarrt an ihrem Platz und sah auf Cædmon hinab.
»Nehmt wieder
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