Das zweite Königreich
ihnen die Hölle heiß gemacht, dachte er mit einemstillen Grinsen. Seine Halle war schlicht und würde es immer sein, aber er sah nichts, wofür er sich hätte schämen müssen.
Seine Mutter erschien an der Tür in der gegenüberliegenden Stirnwand und trat auf sie zu – gemessenen Schrittes und dunkel gekleidet. Aber sie lächelte.
Marie und Cædmon begrüßten sich höflich und kühl wie gewöhnlich, dann wandte sie sich den Gästen zu, und Cædmon stellte die drei Damen einander vor.
Marie nickte Yvetta zu und beachtete sie nicht weiter. Dann ließ sie den Blick über Cædmons Braut gleiten, abschätzend und kritisch. »Armes Kind. Welch ein Pech, daß Ihr in diesen Regenguß geraten seid. Man wird Euch sofort zu Eurer Kammer führen, so daß Ihr Euch frisch machen könnt. Alfred, sorge dafür, daß das Gepäck der Damen nach oben gebracht wird.«
»Natürlich.« Er winkte einen halbwüchsigen Jungen heran, der erfolglos versuchte, sich an den feinen Herrschaften vorbei zur Tür zu schleichen. »Ine, komm her.« Der Junge trat mit gesenktem Kopf näher und verbeugte sich linkisch vor Cædmon und Alfred. »Geh raus zu den Gäulen«, sagte Alfred. »Schaff herein, was wie Gepäck aussieht, dann bring die Pferde in den Stall. Dein Vater soll sehen, wo er Platz für sie findet.«
»Ja, Alfred.« Der Junge eilte davon, und Alfred wandte sich an Cædmon. »Ich bin sicher, du willst den Damen die Burg zeigen, aber wir müssen ein paar wichtige Dinge besprechen. Wir haben eine miserable Ernte, und ich weiß nicht, wovon wir die Steuern bezahlen sollen …«
»Geh nur mit Alfred, Cædmon. Ich werde mich der Damen annehmen«, sagte Marie auf Normannisch.
Cædmon schwankte einen Moment. Ihm war nicht entgangen, daß seine Mutter kein Wort des Willkommens zu Beatrice gesagt hatte, und auch wenn er nicht viel für seine Braut übrig hatte, zögerte er doch, sie dem herben Charme seiner Mutter zu überlassen.
Aber Beatrice überraschte ihn mit echtem normannischen Schneid. »Das wäre sehr freundlich, Madame«, sagte sie lächelnd. »Ich will Euch nicht von Euren Pflichten fernhalten, Cædmon.«
Erleichtert verneigte er sich. »Wie rücksichtsvoll Ihr seid, Madame. Dann sehen wir uns zum Essen.«
Trotz des strömenden Regens machten Cædmon und Alfred eine ausgiebige Runde über das Gut und durch Helmsby und erörterten unterwegs die Lage. Sie war düster. East Anglia war meist weniger von Trockenheit betroffen als andere Gegenden Englands, aber hier hatte Mitte Juli eines Nachts ein fürchterliches Gewitter mit orkanartigen Böen getobt und der Ernte mehr geschadet als der fehlende Regen vorher und nachher. Und nun standen sie nicht nur vor dem Problem, daß die ausbleibenden Pachteinnahmen sie in finanzielle Nöte brachten, obendrein würden sie vermutlich auch nicht genug Winterfutter fürs Vieh haben und keine Reserven, um den Leuten in Helmsby und den vielen anderen Dörfern über den Winter zu helfen.
Cædmon schüttelte den Kopf. »Aber unsere Ländereien sind inzwischen so groß geworden, Alfred, es kann nicht sein, daß uns gleich bei der ersten Mißernte die Puste ausgeht.«
»Was nützen uns die größten Ländereien, wenn wir nirgendwo Pacht herausholen?« wandte Alfred mutlos ein.
»Das würde mich in der Tat sehr mißtrauisch stimmen. Ich kann nicht glauben, daß die Leute nach all den guten Jahren nicht wenigstens einen Teil der Pacht zahlen können. Laß dich nicht gar zu leicht abwimmeln, wenn du deine Runden machst.«
Alfred zog die Brauen hoch. »Was schlägst du vor? Soll ich es so machen wie die normannischen Eintreiber? ›Zahl deine Pacht oder zahle mit Blut‹?«
»Alfred …«
»Entschuldige, Cædmon. Ich weiß, daß du das nicht willst. Ich lasse meine Bitterkeit an dir aus, scheint mir. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich fürchte, viele Menschen werden sterben diesen Winter, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten.«
»Sieh nicht so schwarz, Vetter. Es werden sicher nicht alle über den Winter kommen – so ist es nun mal nach einer Mißernte. Aber du weißt doch selbst am besten, wie die Leute sich zu helfen wissen, was sie aus Moor, Wald und Fluß holen, um zu überleben. Und mein Vater hat immer Almosen an die gegeben, die es am härtesten traf, dabei war er viel ärmer als wir heute. Also müssen wir es auch können.«
»Aber wir werden der Krone so schon Steuern schuldig bleiben«, widersprach Alfred.
Cædmon schüttelte den Kopf. »Das sollten wir auf
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