Das zweite Königreich
vorausgesehen hatte, war seine Mutter anfangs äußerst unwillig gewesen, ihn an den Hof zu begleiten, aber nachdem sie ihrer Empörung hinreichend Luft gemacht hatte, traf sie ihre Vorbereitungen mit Bedacht, reiste für zwei Tage nach Norwich, um Stoffe für neue Kleider zu kaufen, und nahm Beatrice und die unvermeidliche Tante Yvetta mit, so daß Cædmon eine Atempause bekam und gemeinsam mit Alfred die Vorbereitungen für den schweren Winter treffen konnte. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Helmsby war erleichtert, als Beatrice Baynard schließlich wieder verschwand. Cædmon hatte bedrückt festgestellt, daß sie ebenso unfähig wie unwillig war, sich in einen angelsächsischen Haushalt einzufügen: Sie mißverstand die Ungezwungenheit der Leute als Respektlosigkeit, rümpfte die Nase über ihre Küche, ihre Lieder, ihre Bräuche und ihr Bier, lernte in den zehn Tagen ihres Besuches nicht ein einziges Wort ihrer Sprache und behandelte selbst die angesehensten Bauern wie Leibeigene. Alfred ging ihr aus dem Wege, Marie begegnete ihr mit verächtlicher Herablassung, und die Sklaven in der Halle und auf dem Gut zitterten vor ihr. So war nicht nur Cædmon froh, als sie endlich nach Winchester zurückkehrten.
Gytha hatte ihm zum Abschied eröffnet, daß sie wieder ein Kind erwarte. »Es kommt im Frühling, falls ich es über den Winter bringe.«
Er hatte sie an sich gezogen und das Ohr auf ihren Bauch gepreßt. »Ich höre gar nichts.«
»Dafür ist es noch zu früh, Thane.«
Er hatte vor sich hingelächelt. Gytha war immer so furchtbar ernst. »Ich weiß.«
»Wußtest du, daß dem Müller von Metcombe die Frau gestorben ist?« »Hengest? Nein. Was ist passiert?«
»Winterfieber.«
»Oh. Ich hoffe, sie hat es sich nicht in der Nacht geholt, als sie mir ihre Decke überlassen hat.«
»Was?«
»Nichts. Warum erzählst du mir das, Gytha?«
»Ich sollte aus dem Haus sein, wenn deine Braut hier einzieht.«
»Du willst heiraten?«
»Alfred sagt, der Müller will mich haben. Und meine Kinder auch. Seine Frau konnte keine bekommen, und er braucht jemanden, dem er eines Tages die Mühle hinterlassen kann. Er kommt in die Jahre.«
Hengest wäre eine gute Partie für Gytha, ging ihm auf. Ein unfrei geborenes Mädchen mit einem Bastard. Oder zweien. Müllerin eines großen Dorfes zu werden war weit mehr, als sie sich je hatte erhoffen können. Er ignorierte den eifersüchtigen Stich und fragte: »Und willst du ihn?«
Gytha hatte ihm in die Augen gesehen. »Denkst du nicht, das sollte ich?«
Es traf ihn vollkommen unvorbereitet, mit welch großer Ehrerbietung seine Mutter am Hof empfangen wurde. Natürlich wußte er, daß der König Marie schätzte – er erkundigte sich regelmäßig nach ihrem Wohlergehen und war ihr bei seinem Besuch in Helmsby vor einigen Monaten mit erlesener Höflichkeit begegnet. Was Cædmon hingegen nicht geahnt hatte, war, daß seine Mutter als junges Mädchen im Dienst der Mutter des Königs gestanden hatte, jener ebenso bemerkens- wie bedauernswerten Herlève, die, nachdem sie dem Herzog der Normandie seinen einzigen Sohn geschenkt hatte, mit dem Vicomte de Conteville verheiratet worden war, damit sie gut versorgt und aus dem Wege war. Aus dieser Ehe waren zwei Söhne hervorgegangen – Odo und Robert. Die Frau eines Vicomte zu sein war für die Gerberstochter ein enormer Aufstieg gewesen, aber leicht hatte sie es nie gehabt. All die Jahre, die William um die Vorherrschaft über sein Reich gekämpft hatte, hing ihr Schicksal ebenso am seidenen Faden wie seins. Nicht vielen hatte sie trauen können. Eine der wenigen war die Tochter des hochgeschätzten Wundarztes, der mit ihrem Sohn von Schlacht zu Schlacht zog, und Marie war bei Herlève geblieben, bis sie Ælfric of Helmsby heiratete und mit ihm in seine Heimat zurückkehrte.
»Das alles hast du mir nie erzählt«, sagte Cædmon fassungslos und sank auf einen Schemel neben dem prächtigen Bett in Maries vornehmem Quartier.
Sie zog die Brauen hoch und betrachtete ihren Sohn beinah amüsiert. »Ich muß dir ja auch nicht alles erzählen, Cædmon.«
»Ähm … nein. Natürlich nicht. Aber daß du der Mutter des Königs so nahegestanden hast und ich nichts davon wußte … Es überrascht mich nur, das ist alles.«
Marie setzte sich ihm gegenüber auf die Bettkante. »Ich kannte sie mein ganzes Leben lang. Sie stammte aus Falaise genau wie ich.«
»Natürlich …«, ging ihm auf.
»Jeder in Falaise kannte die Hure des Herzogs.
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