Das zweite Königreich
aus, damit stünde er nicht allein. Ich war auch gekränkt, daß William das Amt nicht mir übertragen hat. Aber sowohl ich als auch Richard müssen uns damit abfinden, daß Lanfranc der bessere Mann dafür ist. Ich bin zu bequem, Richard ist zu jung.«
»Er ist zwanzig, Monseigneur. Als sein Vater so alt war wie er …«
»Sein Vater ist ein Mann, mit dem gewöhnliche Sterbliche sich nicht vergleichen sollten«, fiel Odo ihm ins Wort, und es klang keineswegs ironisch.
»Nein.« Cædmon seufzte. »Das ist wohl wahr.«
»Da fällt mir ein, Thane, ich wollte Euch um einen Rat bitten. Wie Ihr wißt, komme ich selten aus Kent heraus. Wenn ich die besten Stickerinnen Englands suche, wohin muß ich mich wenden?«
»Stickerinnen?« wiederholte Cædmon verwirrt.
Odo nickte. »Seht Ihr, meine Kathedrale in Bayeux wird bald fertig. Nun, Ihr wißt, wie das ist, Ihr baut schließlich selbst eine Kirche, alles dauert länger und wird teurer als geplant, aber ich hoffe, nächstes Jahr um diese Zeit fertig zu sein. Und ich will einen Schmuck für meine Kirche, wie die Welt ihn noch nicht gesehen hat. Es soll ein Bildteppich sein, der die Geschichte der normannischen Eroberung Englands erzählt.«
Ein seltsames Thema für eine Kirche, fand Cædmon, aber er sagte lediglich: »Die ganze Geschichte? Das muß ein großer Teppich werden.« Odo nickte ungerührt. »Ich dachte, etwa zweihundert Fuß lang. Die Kirche ist ja groß.«
Cædmon unterdrückte jede Bekundung seines Erstaunens, aber Aliesa zog hörbar die Luft ein. »Dafür braucht Ihr eine Armee von Stickerinnen.«
»Ja, vermutlich«, stimmte der Bischof unbekümmert zu. »Aber ich will nur die besten. Es soll eine Überraschung für William werden, schließlich hat er den Bau meiner Kirche sehr großzügig unterstützt. Dieser Bilderteppich soll ihn ehren. Aber dafür muß er ihm gerecht werden. Also, Cædmon, was ratet Ihr mir?«
Cædmon überlegte einen Moment. »Nun, auf die Schnelle fällt mir nur eine Frau ein, die vermutlich die Richtige für Euer … gewaltiges Projekt ist.«
»Sagt ruhig größenwahnsinnig. Wer?«
»Meine Schwester. Ihre Arbeiten wurden früher in ganz East Anglia und darüber hinaus gerühmt, vor allem ihre Kunst, Muster und Bilder zu entwerfen.«
»Ha. Das ist wirklich die Frau, die ich brauche. Wo finde ich sie?«
»Das ist das erste Problem. Sie lebt in York. Und das zweite Problem ist …«
»Ja, ich kann es mir denken. Wenn sie in York lebt, läge ihr sicher nichts ferner, als den König zu ehren«, knurrte Odo.
Cædmon nickte beschämt. »Ich fürchte, so könnte es sein.«
»Schickt Ihr trotzdem einen Boten. Sagt Ihr, ich mache sie reich.« Cædmon mußte lachen. »Mit Geld werdet Ihr sie nicht ködern können, Monseigneur.«
»Dann sagt Ihr, ich werde Ihr keinen Wunsch abschlagen. Sagt Ihr, was immer nötig ist. Nur, ich will diesen Teppich!«
»Ich werde sehen, was sich machen läßt«, versprach Cædmon, aber in Wirklichkeit hatte er wenig Hoffnung.
Sie redeten noch ein wenig über dies und das, über England, Schottland, die Normandie und das Maine, doch Odo verabschiedete sich bald. Ehe er sich abwandte, raunte er Cædmon zu: »Bleibt nicht zu lange hier bei ihr stehen, mein Freund. Ich werde Euch im Auge behalten, vergeßt das nicht.«
Die Hochzeit wurde ein wahrhaft prachtvolles Fest. Ralph de Gael war einer der führenden bretonischen Adligen in England. Sein Vater hatte schon König Edward treue Dienste geleistet, und Ralph selbst war vor beinah zehn Jahren mit William herübergekommen, besaß große Ländereien in Ost- und Südengland und, seit er das Erbe seines Vaters angetreten hatte, den riesigen Stammsitz der Familie in der Bretagne. Er war Earl of Norfolk und Suffolk und somit einer von Cædmons einflußreichsten Nachbarn. Seine Ehe mit Emma fitz Osbern verband ihn mit einem der mächtigsten normannischen Adelsgeschlechter und bedeutete einen wichtigen Schritt auf seinem Weg zu der herausragenden politischen Machtstellung, die er offenbar anstrebte. Der König hatte den Tod des alten Gael zutiefst bedauert. Der junge Ralph tat sein Bestes, dem König den treuen Vasallen zu ersetzen.
Als die Gesellschaft sich zum Hochzeitsmahl setzte, ließ Cædmon den Blick über die feingekleideten Damen und Ritter schweifen und dachte darüber nach, daß der König sich irgendwann damit würde abfinden müssen, daß ein Generationenwechsel stattfand. Er tat sich letztlich keinen Gefallen, wenn er die erwachsenen Söhne
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