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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Helmsby«, versetzte Morcar mit dem einschüchternden aristokratischen Hochmut, der seiner Familie zu eigen war. »Ich lüge nicht. Hereward hat sich mit einer Handvoll Männer davongemacht, als er sah, daß die Schlacht verloren ist. Und jetzt laß das Messer fallen und steh auf.«
    Dunstan setzte sich auf und senkte den Kopf. »Wie … wie kann er gehen und mich nicht mitnehmen?«
    Morcar nickte knapp. »Das habe ich ihn auch gefragt. Aber ich habe keine Antwort bekommen. Er war sehr in Eile.«
    »Ihr habt ihn fliehen sehen und seid nicht mitgegangen?« fragte Cædmon.
    Morcar richtete seinen strengen Blick auf ihn. »Wofür haltet Ihr mich?«
    »Ähm … für einen Ehrenmann, Mylord.«
    »Aha. Vielen Dank. Ihr meint, ich hätte daran denken sollen, daß Herewards Flucht Williams Zorn auf die überlebenden Rebellen nicht gerade mildert?«
    Cædmon nickte, legte die rechte Hand um den linken Unterarm und stützte ihn.
    »Tja.« Morcar hob kurz die Schultern. »Ich sage Euch ehrlich, mir ist gleich, was William tut, Cædmon. Diese Revolte war schon lange vor dem heutigen Tage zu Ende.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Mein Bruder Edwin ist tot. Von seinen eigenen Männern auf der Flucht nach Schottland ermordet. Somit gibt es niemanden mehr, der das Erbe der angelsächsischen Könige antreten könnte. Es ist vorbei. Hereward und Edwin zusammen hätten William vielleicht stürzen können. Aber der eine ist ein Verräter, der andere wurde verraten, und der englische Widerstand ist mit ihm gestorben.«
    Dunstan saß ihm Gras und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. »Ihr habt recht«, murmelte er fast tonlos. »Gott steh uns bei … Ihr habt recht.«
    Cædmon verschloß sich gegen das Mitgefühl, das ihn plötzlich überkommen wollte, und legte seinem Bruder die unverletzte Hand auf den Arm. »Komm jetzt.«
    Dunstan stand langsam auf. Seine Erschütterung über Herewards feigen Verrat machte ihn fügsam, aller Trotz, aller Hochmut war ihm vergangen. Er hob den Kopf und sah seinem Bruder in die Augen. »Cædmon …«
    »Was?«
    Dunstan starrte ihn wortlos an. Tränen rannen über sein Gesicht und verschwanden in dem dichten, blonden Bart. Dann hob er mit schlafwandlerischer Bedächtigkeit das Messer, das er immer noch in derHand hielt. Morcar stieß einen warnenden Ruf aus und machte einen Schritt auf ihn zu. Cædmon öffnete die Lippen, aber er brachte keinen Ton heraus.
    Dunstan legte die Linke über der Rechten um das Heft und stieß sich die Klinge ins Herz. Einen Augenblick stand er noch reglos, dann brach er lautlos in die Knie, fiel auf die Seite und lag still.
    Cædmon kniete sich neben ihn ins regennasse Gras und drückte die eisblauen Augen zu. Der Tag, da das Drachenschiff den Ouse hinaufgekommen war, fiel ihm ein, und auf einmal mußte er kämpfen, um Wort zu halten und tatsächlich keine Träne um diesen Bruder zu weinen.
     
    Die Suchmannschaften, die noch in der Nacht ausgeschickt wurden, um die Fens nach Hereward zu durchkämmen, kehrten entweder unverrichteter Dinge oder aber überhaupt nicht zurück. Hereward war entwischt. Und wie Morcar vorhergesehen hatte, ließ der König seinen unbändigen Zorn darüber an denjenigen aus, die mehr Mut als ihr Anführer bewiesen, die aussichtslose Schlacht bis zum Ende gefochten hatten und nach ihrer Niederlage gefangengenommen wurden.
    William blieb seinem Grundsatz treu, daß Kirchenmänner außerhalb weltlicher Jurisdiktion stehen sollten, und er schonte selbst die Mönche, die Waffen gegen ihn geführt hatten, belegte das Kloster aber mit einer so gewaltigen Bußabgabe, daß es auf absehbare Zeit bettelarm sein würde. Er berücksichtigte auch Morcars hohe Geburt, akzeptierte einen neuen Treueschwur des jungen einstigen Earl und schickte ihn dann nach Rouen zurück, wo er allerdings nicht als Geisel am Hof leben, sondern als Gefangener in einem Verlies schmachten sollte. Auf unbestimmte Zeit. Die übrigen rund zweihundert Gefangenen wurden samt und sonders geblendet und kastriert. Es dauerte drei Tage. Tage, an denen von früh bis spät die gequälten Schreie der Verstümmelten aufs stille, gleichgültige Moor hinaus gellten, nur dann und wann erwidert vom schläfrigen Ruf eines Vogels. Viele Männer im Gefolge des Königs, vor allem die Prinzen und Knappen kamen sich vor wie in einem grauenvollen Alpdruck, der einfach kein Ende nehmen wollte. Doch der König hatte verboten, daß sie mit der Hauptstreitmacht ins Lager von Belsar’s Hills zurückkehrten. Auch

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