Das zweite Königreich
noch ungewöhnlicheren Stunde zu bedeuten hatte.
»Waltheof! Seid gegrüßt.«
»Entschuldigt die nächtliche Störung, Cædmon.«
»Euer Besuch ist mir immer eine Ehre, Mylord, egal um welche Tageszeit.«
»Das werdet Ihr nicht wiederholen, wenn Ihr gehört habt, was ich zu sagen habe.«
Cædmon sah ihn einen Moment an. Waltheof hatte äußerlich keinerlei Ähnlichkeit mit seinem blonden, meeräugigen Wikingervater, der, wollte man der Legende glauben, groß wie ein Troll gewesen war undin seinen zahllosen Kriegen gegen König Macbeth die Schotten dutzendweise mit der bloßen Faust erschlagen hatte. Waltheof war vielleicht Mitte Dreißig und schon fast kahl. Was ihm von seinem Haar geblieben war, war nach normannischer Sitte geschoren und mausgrau. Er war hühnerbrüstig und auf dem linken Auge fast blind. Aber Cædmon wußte, es wäre ein Fehler gewesen, sich von der äußeren Erscheinung täuschen zu lassen.
»Laßt mich Euch einen Becher Met holen, Ihr seid ja ganz außer Atem.«
Waltheof schüttelte den Kopf und nahm seinen Arm. Er ruckte sein Kinn zu den reglosen Gestalten, die entlang der Wände im Stroh lagen. »Können wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört sind?«
Cædmon nickte und nahm von Alfred dankend zwei gefüllte Becher entgegen. »Folgt mir, Mylord.«
Er führte Waltheof ins oberste Stockwerk der Burg in eine kleine Schreibstube, wo Alfred und Vater Odric, Cædmons schreibkundiger Hauskaplan, die Bücher der Gutsverwaltung führten. Die Luft stand in der kleinen Kammer, es war heiß und stickig. »Verzeiht den bescheidenen Rahmen, aber ich habe Gäste, und mein Haus ist voll. Hier sind wir unter uns.«
Waltheof nickte, trank dankbar an dem Becher, den Cædmon ihm in die Hand gedrückt hatte, und begann unvermittelt: »Es gibt eine Verschwörung, Cædmon.«
Cædmon ließ seinen Becher sinken und nahm beiläufig wahr, daß sein Herzschlag sich beschleunigte. »Von wem gegen wen?«
»Gegen den König natürlich. Sie wollen seine Abwesenheit ausnutzen, um England auf einen Streich unter ihre Kontrolle zu bringen.«
»Wer sind sie? «
Waltheof sah ihm in die Augen. »Ralph de Gael und Roger fitz Osbern.« Cædmon brach in schallendes Gelächter aus.
Waltheof runzelte ärgerlich die Stirn. »Ja, seht Ihr, das ist der Grund, warum ich zu Euch gekommen bin, statt sofort zu Lanfranc zu reiten. Niemand wird es glauben. Das ist ihr großer Vorteil. Niemand wird es für möglich halten, bis es passiert ist.«
Cædmon sah ihn unsicher an. »Aber wie kommt Ihr nur auf einen solchen Gedanken? Welchen Grund könnten sie haben, den König entmachten zu wollen? Kaum jemand steht so hoch in seiner Gunst wie gerade diese beiden, kaum jemand hält mehr Land in England.«
»Und vielleicht hat genau das sie gierig gemacht. Ich weiß nicht, warum. Sie wollen mehr Macht, als der König irgendeinem seiner Vasallen zugesteht. Es mißfällt ihnen, daß die Sheriffs als Vertreter der Krone die Macht der Earls in ihren Grafschaften beschneiden. Sie sind es satt, William ständig seine Feldzüge zu finanzieren. Und sie finden plötzlich, daß kein Bastard auf dem Thron einer christlichen Nation sitzen sollte. Philip hat hier seine Hand mit im Spiel, versteht Ihr.«
»Der König von Frankreich?« fragte Cædmon beinah tonlos.
»Wer sonst? Er ist erwachsen geworden, Cædmon, und es gefällt ihm nicht, daß er im Norden einen Nachbarn hat, der mächtiger ist als er. Er paktiert mit Flandern und den Aufständischen im Maine. Jetzt hat er seinen begehrlichen Blick auf die Bretagne gerichtet. Und in der Bretagne ist Ralph de Gael ein sehr einflußreicher Mann.«
Cædmon räusperte sich. »Woher wißt Ihr das alles?«
Waltheof sah ihm in die Augen. »Sie haben mich auf der Hochzeit vor zwei Wochen eingeweiht. Sie brauchen Northumbria, sonst kann ihr Plan nicht funktionieren.«
»Ihr wißt es seit zwei Wochen?«
»Ihr müßt verstehen, Thane, diese Männer haben nicht völlig unrecht mit dem, was sie sagen, und ich mußte abwägen …« Er brach unvermittelt ab, als Cædmon einen Schritt zurücktrat und den Inhalt seines Bechers demonstrativ ins Stroh am Boden schüttete.
»Jedes Wort, das Ihr aussprecht, ist Verrat.«
»Und was für ein König ist es, den man nicht kritisieren darf, ohne ein Verräter zu sein?«
»Ihr kritisiert ihn nicht, Ihr wollt ihn stürzen. Obwohl er Euch mit Ehren und Gunstbeweisen regelrecht überhäuft hat! Euch mit seiner Nichte vermählt hat!«
»Aber ich bin doch zu Euch
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