Das zweite Königreich
war. Dunkle Augen betrachteten ihn ernst und aufmerksam.
»Hat Euch irgend etwas gebissen, Thane? Eine Ratte vielleicht?«
Das ist wieder einer von diesen blöden Träumen, erkannte Cædmon, schloß die Augen und wollte sich davontreiben lassen.
Aber eine Hand rüttelte unbarmherzig an seiner Schulter. »Antworte, Cædmon, bitte«, flehte Hyld.
Er zwang die Augen wieder auf und ließ sie zwischen den beiden ungleichen Gesichtern hin und her wandern, die sich über ihn beugten. »Hyld.«
»Ja.«
»Malachias … ben Levi.«
»So ist es, Thane. Hat Euch eine Ratte gebissen?«
Ein irres Lachen zitterte in seinen Bauchmuskeln, aber er war zu schwach, um es herauszulassen. »Ihr solltet nicht hier sein. Etienne fitz Osbern ist …«
»Ich weiß, ich weiß.« Malachias hob abwehrend die Hand. »Macht Euch darüber keine Sorgen. Bekomme ich jetzt eine Antwort?«
»Ja. Ein paarmal. Wenn man … sich nicht mehr rührt, dann kommen sie und kosten …«
»Wann?«
»Ich weiß nicht mehr … Mir ist so kalt.«
»So geht es immerzu«, sagte Hyld leise. »Von einem Augenblick zum nächsten vergeht das Fieber, und er bekommt Schüttelfrost.«
Malachias sah sich suchend um, fand eine zusammengefaltete Decke und breitete sie über den Kranken. »Schickt nach mehr Decken. Wir müssen ihn warm halten, wenn der Schüttelfrost kommt, und kühlen, wenn das Fieber steigt, wie Ihr es schon getan habt.«
»Wißt Ihr, was ihm fehlt?«
»Ich denke schon.« Er tastete Cædmons Hals, Achselhöhlen und Leistengegend ab und nickte, als habe ein Verdacht sich bestätigt. Dann suchte er systematisch den ganzen Körper des Kranken ab, bis er über dem linken Ellbogen eine geschwollene Verhärtung fand, wo die Haut rötlich verfärbt war. Als er behutsam darauf drückte, zuckte Cædmon zusammen und versuchte, seinen Arm loszureißen, aber Malachias gab ihn nicht her, sondern hielt ihn Hyld zur Begutachtung hin. »Da. Hier hat die infizierte Ratte ihn gebissen.«
»Ich verstehe nicht. Was bedeutet infiziert?«
»Daß sie die Krankheit in sich hatte und an ihn übertragen hat. Im Osten nennt man das Leiden daher Rattenfieber.«
»Müßt Ihr den Arm aufschneiden?« fragte sie angstvoll.
Malachias zog sarkastisch die buschigen Brauen in die Höhe. »Ich sehe, mein zweifelhafter Ruf ist mir vorausgeeilt …«
»Verzeiht mir, ich wollte nicht …«
»Ich weiß. Nein, das hätte höchstens ein, zwei Stunden nach demBiß etwas genützt. Jetzt ist es dafür zu spät. Ich gebe Euch ein Pulver, das Ihr in Wasser auflösen und ihm einflößen müßt, es senkt das Fieber. Viel mehr können wir nicht tun. Er muß viel trinken. Die Krankheit ist langwierig, aber bei entsprechender Behandlung in der Regel nicht tödlich. Es sei denn, der Betroffene ist schon vorher geschwächt oder hat nur einen schwachen Lebenswillen.« Er sah Hyld in die Augen.
Sie schluckte. »Ich schätze, beides trifft zu.«
Der junge jüdische Arzt nickte ernst. »Ich werde ein oder zwei Tage bleiben und sehen, was ich tun kann. Geht nur, der Bischof wartet schon ungeduldig auf Euch.«
Sie warf einen unsicheren Blick auf Cædmon, der jetzt ruhiger zu schlafen schien. »Also gut. Ich lasse Euch etwas zu essen bringen.«
Malachias hob abwehrend die Hände, beinah ein bißchen entsetzt, so schien es. »Nein, vielen Dank. Ich habe Brot mitgebracht, das muß für den Augenblick genügen.«
Sie starrte ihn entgeistert an. »Fürchtet Ihr, irgendwer hier wolle Euch vergiften?«
Er verbiß sich ein Lächeln. »Na ja, wie man’s nimmt … Nein, nein. Aber ich kann nicht essen, was Ihr hier eßt, Madame. Kein Schweine- oder Pferdefleisch, keine Muscheln oder Austern, auf die Engländer und Normannen gleichermaßen versessen sind, und vor allem nichts, das Milch und Fleisch enthält. Meine Religion verbietet es.«
»Warum?«
»Weil der Gott Abrahams es so befohlen hat.«
»Oh. Und warum hat er das wohl getan?«
Dieses Mal lachte er und breitete kopfschüttelnd die Arme aus. »Es gibt viele Gründe. Praktische und religiöse, einfache und komplizierte, vielleicht sogar gute und schlechte. Aber es würde wenigstens zehn Jahre dauern, sie alle aufzuzählen und zu erklären.«
Sie war fasziniert von der Fremdartigkeit dieser Gebote, doch dann kam ihr ein Gedanke. »Nun, wir dürfen freitags kein Fleisch essen – außer Bernikelgans – und keinen Met trinken, und in der Fastenzeit und im Advent dürfen wir praktisch gar nichts essen.«
»Wieso Bernikelgans?« fragte er
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