Das zweite Königreich
Noch ehe er wieder auf die Füße gekommen war, hatte der Normanne einen Dolch gezückt, und Leif riß Eadwig zurück und trat dem fremden Ritter die Waffe aus der Hand. Sogleich stürzten drei der Normannen sich auf ihn. Zwei hielten ihn an den Armen, der dritte schlug auf ihn ein, bis Eadwig ihn packte und mit einem gewaltigen Faustschlag zu Boden schickte. Vier von Henrys englischen Rittern kamen aus der Wachkammer am Tor, erfaßten die Lage auf einen Blick und stürzten sich mit Feuereifer ins Getümmel.Sie alle litten seit Wochen unter der Hochnäsigkeit von Roberts Anhängern ebenso wie unter der angespannten Lage und dem endlosen Warten auf die Schlacht, die niemals kam. So war ihnen diese kleine Ablenkung von Herzen willkommen.
Beinah beiläufig packte Cædmon einen der Normannen, der Eadwig von hinten in die Nieren getreten hatte, und schleuderte ihn mit Macht in die nächstbeste Schlammpfütze, ehe er sich mit jeder Hand einen seiner Prinzen schnappte und sie aus der Gefahrenzone zog. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen beobachteten sie, wie immer mehr Männer aus allen Richtungen herbeiströmten und mitmischten. Erbittert prügelten sich Roberts Ritter mit Rufus’ und Henrys; innerhalb kürzester Zeit war eine regelrechte Massenschlägerei im Gange.
Rufus kaute nervös an seinem Daumennagel und brummte: »Gott, wie gern würde ich mitmachen.« Er warf Cædmon einen Blick zu und hob grinsend die Schultern. »Was schaust du so mißbilligend? Laß sie doch. Wird ihnen guttun, sich mal ein bißchen Luft zu machen.«
»Das ist keine harmlose Rauferei, Rufus«, widersprach Cædmon. »Dafür steckt zuviel dahinter.«
»Ach komm. Du läßt dich doch normalerweise auch nicht zweimal bitten.«
Cædmon verzichtete auf eine Antwort. Als er sah, wie Montgomery und einer von Rufus’ Rittern die Schwerter zogen und kreuzten, wandte er sich ab. »Kommt mit.«
»Aber Cædmon …«, protestierte Rufus.
»Bitte, Rufus, tu nur dieses eine Mal, was ich sage. Das hier ist kein Spaß.«
Rufus zuckte ungeduldig mit den Schultern, folgte aber Henrys Beispiel und begleitete Cædmon zur Halle. Auf der obersten Stufe vor dem Eingang blieben die beiden Prinzen stehen und verfolgten weiter das muntere Treiben, an dem inzwischen wenigstens dreißig junge Männer beteiligt waren.
Cædmon hastete weiter in die Haupthalle, wo der König mit seinem ältesten Sohn und dem Befehlshaber der Burg zusammensaß.
»… müssen einen Teil der Ernte beschlagnahmen, wenn Ihr hier überwintern wollt, Sire«, sagte der normannische Adlige ernst. »Und das bedeutet …«
»Ich bedaure, daß ich Euch störe, Sire, aber ich bitte Euch, kommt mit nach draußen«, fiel Cædmon ihm unhöflich ins Wort.
Die drei Männer sahen stirnrunzelnd auf.
»Was fällt Euch ein, Cædmon?« fragte Prinz Robert entrüstet.
Cædmon ignorierte ihn einfach – eine weitere, unverzeihliche Unhöflichkeit – und sah dem König in die Augen.
William erhob sich ohne ein Wort. Mit langen Schritten ging er neben Cædmon her, und erst als sie an die Tür kamen, raunte er: »Ich hoffe um Euretwillen, daß es wichtig ist, Thane.«
Cædmon antwortete nicht, sondern führte ihn, so schnell der König es zuließ, in den Innenhof.
William blieb neben seinen jüngeren Söhnen am Eingang stehen und nahm das wilde Durcheinander in Augenschein. Drei, vier Männer lagen schlammverschmiert und reglos im strömenden Regen. Ein Karren mit Mehlsäcken war umgekippt und hatte seine Ladung in den Hof ergossen; einige der Säcke waren aufgeplatzt, und ihr kostbarer Inhalt lief in kleinen, milchigen Rinnsalen aufs Tor zu. Die Soldaten der Wache hatten ihre Posten verlassen, standen mit verschränkten Armen am Rande des Geschehens und sahen grinsend zu.
Der König schritt die Hälfte der Stufen hinab und donnerte: »Das ist genug!«
Er hätte ebensogut flüstern können. Nur diejenigen, die direkt unterhalb der Treppe balgten, hörten ihn, ließen augenblicklich voneinander ab und standen dann mit hängenden Schultern und betretener Miene da und wagten nicht, ihn anzusehen. Alle anderen prügelten sich weiter, hier und da hatten sie auch die Waffen gezogen.
William ging den Rest der Treppe hinab, ließ den Blick über das wilde Getümmel schweifen, packte schließlich einen der emsigsten Teilnehmer mit seinen gewaltigen Pranken und riß ihn zurück. Der so rüde Gestörte fuhr mit erhobenen Fäusten wütend herum, und weil der König keinen Zoll wich, fand er sich
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