Das zweite Königreich
vorübergehend vergessen, daß er selbst zwei Bastarde in die Welt gesetzt und die Frau seines besten Freundes geschwängert hatte. »Von Ine?«
Hyld schüttelte den Kopf. »Von ihrem Vater, sagt sie, und ich habe keinen Grund, an ihrem Wort zu zweifeln.«
»Großer Gott …«, Cædmon raufte sich die Haare.
»Offa streitet es natürlich ab«, fügte Alfred hinzu. »Aber Hyld hat recht, warum sollte Gunnild es sagen, wenn es nicht wahr wäre? Die Schande ist für sie schließlich genauso groß wie für ihren Vater. Und denk an die Torfstecher in den abgelegenen Dörfern im Moor, jeder weiß, daß sie mehr schwachsinnige und mißgestaltete Kinder haben als andere Leute, weil sie immer nur untereinander heiraten. Jetzt will jedenfalls niemand Gunnild mehr haben. Eine halbblinde, eigentlich schon zu alte Frau, die ein verkrüppeltes Kind geboren hat. Für Gunnild heißt es, Ine oder keiner. Ine oder bald das nächste Balg, dessen Vater sein Großvater ist.«
»Oder sein Onkel«, warf Hyld ein. »Denn Gunnilds Brüder meinen, was ihr Vater dürfe, dürften sie erst recht.« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Gott, Aliesa, du mußt die Engländer für Barbaren halten …« Aliesa hob abwehrend die Hand. »Ich habe eine Hälfte meines Lebens in der Normandie verbracht, die andere in England, Hyld, und wenn ich eines gelernt habe, dann, daß die Menschen überall gleich sind.« Sie sah zu Cædmon. »Was sagst du nun?«
Er rieb sich das immer noch unrasierte Kinn und dachte nach. »Na ja, ich sehe, die Sache ist komplizierter, als ich angenommen hatte«, räumte er schließlich ein. »Aber mir ist immer noch nicht klar, wie ihr Offa dazu bewegen wollt, seine Zustimmung zu geben.«
Hyld und Alfred tauschten einen Blick, und er sagte: »Wenn du zu Offa gehst und ihm die Hölle heiß machst und ihm androhst, ihn wegen Blutschande vor einem dieser neuen normannischen Kirchengerichte anzuklagen, wird er klein beigeben. Er ist ein Hasenfuß.«
»Wie könnte ich ihn anklagen, wenn es keine Zeugen gibt?«
»Sag ihm, er werde sich einem Gottesurteil unterziehen müssen«, schlug Hyld vor.
»Aber es gibt bei kirchlichen Gerichten keine Gottesurteile …«
»Meine Güte, Cædmon, das weiß der Schmied doch nicht!« unterbrach Hyld ungeduldig. »Lüg ihm was vor und mach ihm angst. Er hat es verdient.«
»Ja, zweifellos, Hyld, du vergißt nur, daß ich grundsätzlich immer noch gegen Heiraten zwischen Freien und Unfreien bin.«
»Warum?« wollte Aliesa wissen.
»Weil es stets Ärger über die Frage gibt, ob die Kinder aus diesen Ehen frei oder unfrei sind. Es bringt immer Hader und Unfrieden. Und selbst wenn Gunnild heute vor zwei Dutzend Zeugen erklärt, auf alle Rechte ihres Standes zu verzichten, wird ihr Sohn eines Tages zu mir oder meinem Sohn kommen und sagen: ›Ich bin ein freier Mann und schulde dir keinen Frondienst.‹«
»Es würde dich nicht ruinieren«, murmelte Hyld.
»Darum geht es nicht«, erwiderte er gereizt.
Hyld öffnete den Mund, doch dann fing sie Aliesas Blick auf und sah das angedeutete Kopfschütteln ihrer Schwägerin. Mit einem verstohlenen Verschwörerlächeln in Hylds Richtung legte Aliesa Cædmon die Hand auf den Arm und sagte: »Du mußt es ja nicht jetzt entscheiden. Schlaf eine Nacht darüber.«
Mittsommer war immer ein rauschendes Fest, zu dem ein jeder an Speisen und Getränken beisteuerte, was er nur konnte. Doch in diesem Jahr übertraf das Festmahl alles, was man in Helmsby je gesehen hatte, denn der Thane hielt Wort und richtete anläßlich seiner Vermählung einen wahren Festschmaus für das ganze Dorf aus. Zwei Ochsen wurden am Spieß gebraten, fünf Lämmer und ungezählte Hühner mußten ihr Leben lassen, wahre Berge an Broten und Honigkuchen und Pasteten wurden gebacken, und es gab genug Met und Bier, daß jeder Mann und jede Frau von Helmsby sich zur völligen Besinnungslosigkeit hätte betrinken können.
Darüber hinaus war es der Hochzeitstag von Ine und Gunnild, ein Umstand, der bei den Brautleuten strahlende Glückseligkeit und bei den übrigen Dorfbewohnern je nach Sichtweise Befremden oder Genugtuung hervorrief.
»Ich frage mich nur, wie Hyld den Thane dazu überredet hat«, raunteEadgyth, die Melkerin, ihrer Freundin Seaxburh zu, die mit einem der kleinen Pächter verheiratet war.
»Helen sagt jedenfalls, sie hätten gewaltig gezankt deswegen«, wußte Seaxburh zu berichten. »Ah, da kommt der Mann, der uns sicher mehr sagen kann.«
Onkel Athelstan trat
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