Das zweite Königreich
deren Großvater im Schlepptau davongegangen und nicht mehr in Hörweite war. Dann wandte er sich an Aliesa und erklärte: »Ine, der Stallknecht, will meine Erlaubnis zur Heirat mit Gunnild, der Tochter von Offa, dem Schmied. Offa ist ein angesehener, freier Mann. Die Verbindung ist undenkbar. Ich habe mich gefragt, wie Ine dazu kommt, einen solchen Gedanken auch nur zu äußern, aber jetzt sehe ich, daß er für diesen Irrsinn die Unterstützung meiner Schwester und meines Stewards hat.«
Aliesa dachte nicht daran, sich zu der Sache zu äußern, ehe sie mehr darüber wußte, und Hyld nutzte ihr Schweigen, um ruhig zu fragen: »Wieso ist es so undenkbar, Cædmon? Sie will es und er auch.«
»Aber ich nicht und ihr Vater gewiß auch nicht«, entgegnete Cædmon. »Er würde mit seinem Hammer auf mich losgehen, wenn ich diese alberne Idee unterstützte, und zu Recht. Meine Güte, was ist nur in euch gefahren? Die Tochter eines Freien kann keinen Sklaven heiraten, das wißt ihr so gut wie ich!«
»Ah ja?« fragte Hyld. Dann stützte sie die Hände auf den Tisch, lehnte sich leicht vor und sagte: »Ich hab’s getan, Cædmon, und ich würde es morgen wieder tun.«
»Das war etwas anderes …«, widersprach er ungeduldig.
»Keineswegs.«
»Eriks Großvater war ein Bruder des Königs von Norwegen, Ines Großvater war ein Raufbold, der einen Housecarl unseres Großvaters erschlug und kein Wergeld zahlen konnte, verstehst du, das ist der Unterschied.«
»Ich sehe nicht, was unsere Großväter mit dieser Sache zu tun haben …«
»Hör zu, Hyld, damit das ein für allemal klar ist …«
»In dem Ton brauchst du mir überhaupt nicht zu kommen, Bruder …« »Verdammt, Alfred, würdest du vielleicht auch mal was sagen …«
»Ähm, Cædmon, ich …«
»Augenblick mal«, mischte sich Aliesa energisch ein und war verblüfft über die Wirkung. Alle drei verstummten und sahen sie an. »Ich habe einige Fragen«, fuhr sie fort.
Es herrschte ein kurzes, unsicheres Schweigen, dann nickte Cædmon ihr zu. »Bitte.«
»Wie alt ist das Mädchen?« wollte sie wissen.
Hyld überlegte kurz. »Etwa so wie ich. Mitte Zwanzig. Zwei, drei Jahre älter als Ine.«
»Und warum ist sie nicht längst verheiratet? Wenn ihr Vater ein angesehener, vermutlich nicht armer Mann ist, warum hat er sie nicht längst ordentlich unter die Haube gebracht?«
»Weil sie ihrem Vater und ihren Brüdern das Haus führen muß, seit ihre Mutter tot ist«, erklärte Hyld. »Offa hat nicht wieder geheiratet, und seine Söhne haben es auch nicht eilig damit. Also lassen sie Gunnild für sich schuften; das ist billiger, als eine Magd zu nehmen, der sie einen Penny die Woche zahlen müßten.«
»Also ehrlich, Hyld, es ist unmöglich, was du da redest«, protestierte Cædmon aufgebracht.
»Leider nicht, denn es ist wahr«, entgegnete sie. »Außerdem hat Gunnild furchtbar schlechte Augen. Ich hab’ es vor drei Jahren gemerkt, als sie mit am Teppich gearbeitet hat, obwohl sie so tapfer versucht hat, es geheimzuhalten. Aber mittlerweile ist es bekannt, darum stehen die Heiratskandidaten nicht gerade Schlange. Kann sein, daß sie blind wird. Aber Ine ist es egal, denn er liebt sie. Ich dachte, du wüßtest, was das heißt.«
Cædmon fuhr wütend auf, doch seine Frau kam ihm zuvor. »Aber Hyld, selbst wenn Cædmon seine Meinung ändern würde …«
»Wird er nicht«, grollte er und verschränkte trotzig die Arme.
»… wie in alle Welt will sie die Zustimmung ihres Vaters bekommen?« beendete Aliesa ihre Frage.
Hylds gewaltiger Zorn, den sie an Stelle ihrer Freundin aus Kindertagen empfand, entlud sich über dem unschuldigen Haupt ihres Vetters: »Du bist verdächtig still, Alfred! Immerhin hast du Ine auf diese verrückte Idee gebracht, Cædmon zu fragen, ehe ich mit ihm reden konnte, und jetzt sitzt du da und sagst keinen Ton!«
Der gutmütige Alfred warf ihr einen verschämten Blick zu, verschränkte die Hände auf der Tischplatte und wandte sich mit einem unbehaglichen Räuspern an Aliesa. »Madame, jetzt wird es … nun ja, delikat.Ich denke, es wäre besser, wenn ich diesen Teil der Angelegenheit mit Cædmon allein bespräche.«
Hyld stöhnte. »Oh, Alfred, du bist hoffnungslos!« Sie wandte sich an Aliesa und Cædmon. »Letzten Winter bekam Gunnild ein Kind. Es ist nur eine Woche alt geworden, aber man konnte sehen, daß es nicht normal war. Mißgestaltet und der Kopf viel zu groß.«
Cædmon runzelte mißfällig die Stirn, so als habe er
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