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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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nicht.«
    »Was seid Ihr denn?«
    Er hob leicht die Schultern. »Ich habe es immer noch nicht herausgefunden. Und da kommen wir dem Übel schon auf die Spur. ›Du denkst zuviel‹, hat mein alter Herr immer zu mir gesagt. ›Hör auf damit, sonst wird nie etwas aus dir.‹ Und er hatte recht. Darum haben sie mich zu William geschickt. Weil ich zu nichts anderem tauge.« Er sagte das ohne alle Bitterkeit, eine Spur belustigt sogar.
    »Dann geht es Euch wie mir«, murmelte Cædmon düster.
    Wulfnoth betrachtete ihn aufmerksam, aber ehe er etwas erwidern konnte, wies Cædmon auf das seltsame Ding in seinem Schoß. »Was ist das?«
    »Eine Laute.«
    Cædmon schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«
    »Sie kommt aus Sizilien. Du weißt vermutlich, daß die Normannen Süditalien und Sizilien erobert haben?«
    »Nein. Ich weiß nicht einmal, wer oder was oder wo Sizilien ist.«
    Wulfnoth lächelte nachsichtig. »Willst du die lange oder die kurze Fassung?«
    »Die kurze«, erwiderte Cædmon. Es fiel ihm eigentümlich leicht, offen zu diesem Mann zu sein, dabei verspürte er sonst immer einen Knoten in der Zunge, wenn er Fremden begegnete. Vermutlich lag es daran, daß sie Landsleute waren, die sich in der Fremde getroffen hatten.
    Wulfnoth erzählte ihm von dem Inselreich Sizilien, wo jeder Pilger haltmachen mußte, der ins Heilige Land wollte, doch dieses Reich wurde von heidnischen Arabern beherrscht, die nicht viel für fromme Pilger übrig hatten und sie nicht gerade selten abschlachteten. Sizilien und das nördlich angrenzende Apulien und Kalabrien befanden sich in ständiger politischer Unrast, und das hatten die landhungrigen, abenteuerlustigen Normannen zum Anlaß genommen, dort hinzuziehen und das Land zu erobern. »Und Robert Guiscard und sein Bruder Roger schlagen sich heute noch mit den Heiden herum, aber seit ein paar Jahren haben die Normannen die Oberhand. Seit sie zum erstenmal über Sizilien hergefallen sind, haben sie jedesmal alles mögliche mitgebracht, wenn sie zwischen ihren Feldzügen einmal heimkamen. Heidnisches Zeug, zugegeben, aber diese Laute hier war auch dabei. Und deswegen bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Heiden solche Ungeheuer nicht sein können.«
    »Spielt etwas«, bat Cædmon.
    Wulfnoth schien überrascht, folgte der Bitte aber bereitwillig. Die Laute war ein hölzernes Ding mit einem bauchigen Hohlkörper, der wie eine durchgeschnittene Birne geformt war. Etwa da, wo die Birne die Kerne hat, hatte sie ein Loch. Oberhalb des Lochs war ein flaches, längliches Brett angebracht, wie ein Hals, von dessen Ende bis über das Loch sich vier dünne Schnüre spannten. Wulfnoth drückte mit den Fingern der Linken am Ende des Halses auf diese Schnüre, mit der anderen Hand zupfte er daran, ungefähr in Höhe des Kerngehäuses der Birne, und aus dem Hohlkörper kamen die wunderlichsten Töne. Cædmon lauschte hingerissen, ohne zu merken, daß sein Mund offenstand. Wulfnoth spielte eine kleine, etwas traurige Weise, zupfte mal diese, mal jene Schnur, manchmal auch zwei gleichzeitig, was einen wunderbar harmonischen Doppelklang ergab.
    Als er geendet hatte, klappte Cædmon den Mund zu, schüttelte aber wie benommen den Kopf. »Das ist … wunderschön. So etwas habe ich noch nie gehört. Spielt noch etwas. Bitte!«
    Wulfnoth fand selten ein so geneigtes Publikum. Er spielte bereitwillig für Cædmon und war erstaunt, daß es dem Jungen nicht zuviel wurde; seine Faszination schien im Gegenteil immer noch zuzunehmen. Und so war es auch. Cædmon war vollkommen hingerissen von diesen ungewohnten Lauten, dem sanft vibrierenden, hellen Wohlklang, den man diesen Schnüren entlocken konnte, und die Musik nahm ihn so gefangen, daß er für eine Weile alles andere vergaß. Sein Bein, sein Heimweh, seine verrückte Flucht aus Beaurain, sogar das Mädchen mit dem Sperber. Die Verzauberung gaukelte ihm eine Reihe fremdartiger, aber süßer Bilder vor, in denen nichts scharfe Konturen hatte, doch alles von erlesener Schönheit und einer fast unirdischen Leichtigkeit war. Und je länger Wulfnoth spielte, um so tiefer versank Cædmon in dieser Traumwelt. »Weiter«, bettelte er, als Wulfnoth zum Ende einer beschwingten Melodie kam.
    Doch Wulfnoth wehrte lachend ab und zeigte Cædmon die Finger seiner Linken. In den Kuppen hatten sich tiefe Furchen gebildet, von denen zwei bluteten.
    »Oh. Warum habt Ihr nichts gesagt?« fragte Cædmon schuldbewußt. »Weil ich wie alle Godwinsons eitel bin und von der

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