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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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sich zu fragen, ob sein Vater als Junge ebenso mutwillig und gedankenlos und manchmal auch grausam gewesen war wie Dunstan heute, ob er seinen Ältesten deswegen von all seinen Kindern am meisten liebte, weil er ihm selbst am ähnlichsten war.
    Der Herzog ließ ihn nicht aus den Augen, seine Miene war unbewegt. »Ich sehe, daß du die Dinge gerne erst durchdenkst, ehe du den Mund aufmachst. Das ist gut. Warst du lange unterwegs von Beaurain?«
    »Vorgestern bei Sonnenuntergang bin ich dort losgeritten.«
    »Hm. Ich nehme an, du bist hungrig.« Er wandte sich abrupt an die umstehenden Männer. »Du bringst den Jungen irgendwo unter, wo er sich ausschlafen kann. Und sorg dafür, daß er etwas Vernünftiges zu essen bekommt.«
    Der Mann verneigte sich. »Sofort, Monseigneur. Komm mit, Junge.« »Und ich fürchte«, sagte William zu dem zweiten, »du wirst sofort wieder aufbrechen müssen, Gerard. Du reitest nach Beaurain. Nimm fünf Männer mit. Sage Guy, daß ich meine englischen Gäste in zwei Tagen in Rouen erwarte. Sag ihm, ich erwarte auch ihn. Sag ihm, für jede Stunde, die er sich verspätet, werde ich hundert Männer schicken, die über sein Land herfallen, seine Vasallen erschlagen, seine Töchter … Hat er Töchter?«
    »Eine.«
    »Also gut. Seine Tochter schänden, seine Bauern abschlachten, seine Dörfer niederbrennen, seine …«
    Mehr hörte Cædmon nicht, denn sein Begleiter führte ihn über den Hof zur Burg, eine Treppe hinauf in die große Halle, die beinah menschenleer war, am anderen Ende wieder durch eine Tür, eine weitere steinerne Stiege hinauf und zu einer hölzernen Tür an einem langen, von Fackeln erhellten Korridor. Er stieß die Tür auf und nickte Cædmon zu. »Tritt ein, Cædmon of Helmsby. Ich lasse dir sofort etwas zu essen bringen.«
    Cædmon bedankte sich und trat über die Schwelle. Er befand sich in einer geräumigen Kammer mit einem schmalen Fenster, das einen Blick auf den Fluß und das Tal bot. Entlang der Wände lagen mehrere Strohlager, und in der Raummitte stand ein Tisch mit Bänken. Niemand war dort. Cædmon sank müde auf eine der Bänke nieder. Nicht lange, und eine hübsche junge Magd kam. Sie brachte ihm Brot, Käse und einen Teller, auf dem sich ein wahrer Berg kaltes Fleisch auftürmte.Neben den Teller stellte sie einen Becher mit Wein, der so dunkelrot war, daß er beinah schwarz wirkte. Cædmon bedankte sich bei dem Mädchen, wartete, bis er wieder allein war, und fiel dann über das Essen her. Das Brot war frisch, der Käse reif und saftig, das Fleisch zart und fett und von einer dünnen Kruste aus Kräutern umhüllt. Es war göttlich. Cædmon aß mit Hochgenuß, leerte den Becher mit dem ungewohnt starken Wein, torkelte zu einem der Strohbetten und schlief augenblicklich ein.
     
    Ein nicht gerade sanfter Tritt in die Seite riß ihn aus schweren Träumen. »He! Was hast du in meinem Bett verloren?« fragte eine junge Stimme entrüstet.
    »Laß ihn schlafen, Etienne, er ist zwei Tage und Nächte nicht aus dem Sattel gekommen.«
    Cædmon rührte sich nicht, hielt die Augen geschlossen und hoffte, daß die zweite Stimme Gehör fand und er sich so bald nicht bewegen mußte. Er war immer noch furchtbar schläfrig.
    »Was weißt du schon wieder, wovon ich nichts gehört hab’? Wer ist der Kerl?« fragte der erste, der offenbar Etienne hieß.
    »Er ist mit diesem englischen Adligen an Guy de Ponthieus Küste gespült worden, und Guy hat sie festgesetzt. Dieser hier ist geflohen, und der Herzog hat Guy eine unmißverständliche Botschaft geschickt, die anderen Engländer auch herzubringen. Ausgerechnet jetzt, habe ich deinen Vater sagen hören. Wir müßten sofort in die Bretagne ziehen, wenn wir Riwallon noch rechtzeitig zu Hilfe kommen wollen, ehe Conan ihn zerquetscht. Aber es sieht so aus, als sei diese englische Gesandtschaft dem Herzog sehr wichtig, er will sie auf jeden Fall hier erwarten.«
    »Wichtig oder nicht, Roland, dieser Engländer liegt in meinem Bett. Wo soll ich schlafen?«
    »Auf dem Fußboden«, schlug Roland mit einem Grinsen in der Stimme vor. »Du weißt doch. Was uns nicht umbringt, macht uns härter.«
    »Amen«, murmelte Etienne ergeben, und in der kurzen Stille, die folgte, schlief Cædmon wieder ein.
     
    Gepolter und ein Durcheinander von Stimmen weckten ihn. Er wußte sofort, wo er sich befand. Als er sich aufsetzte, fand er, daß die Zahl seiner Zimmergenossen auf zwölf angewachsen war. Es waren ausnahmslosjunge Burschen, einige ein wenig

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