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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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jünger, andere ein paar Jahre älter als er selbst, und sie saßen um den Tisch und nahmen eine Mahlzeit ein, die offensichtlich das Frühstück war. Er mußte die ganze Nacht durchgeschlafen haben. Heller Sonnenschein fiel durch das schmale, hohe Fenster, und die Jungen starrten ihn neugierig an, ihr Frühstück ebenso vergessend wie ihre Unterhaltungen.
    Cædmon wünschte, die Erde möge sich auftun und ihn verschlingen. Er rieb sich verlegen das Kinn an der Schulter.
    »Guten Morgen. Mein Name ist …«
    »Cædmon of Helmsby, das haben wir alle schon gehört«, sagte einer, den Cædmon an der Stimme als Etienne erkannte. »Am Ende des Korridors draußen findest du einen Abort. Hier gleich neben der Tür steht ein Eimer mit Wasser. Dann solltest du dir deine barbarischen, langen Angelsachsenzotteln kämmen. Im übrigen sei willkommen in dieser ruhmreichen Runde und fühle dich herzlich eingeladen, unser Frühstück zu teilen. Aber bitte, such dir von heute an ein anderes Bett.«
    Alle lachten. Cædmon lächelte nervös. Ihm graute davor, vor all diesen neugierigen Blicken aufzustehen und zur Tür zu humpeln. Am liebsten hätte er sich die dünne Wolldecke über den Kopf gezogen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Er kniete sich hin, mit dem Rücken zur Raummitte, stützte sich mit der Rechten an der Wand ab und kam umständlich auf die Füße. Dann ging er zur Tür. In der Stille erschien sein ungleichmäßiger Schritt ihm unglaublich laut, dabei verursachten die dünnen Ledersohlen seiner Schuhe in Wirklichkeit kaum ein Geräusch. Als er auf den Gang hinaustrat, kam es ihm vor, als glitte eine ungeheure Last von seinen Schultern.
    Etienne und Roland und die anderen Jungen waren Söhne normannischer Adliger, die am Hof des Herzogs zu Kriegern ausgebildet wurden oder, wie sie es nannten, zu »Rittern«. Nach dem eher kargen Frühstück mußten sie in den Hof hinunter zu ihren Waffenübungen. Doch zuvor erbot sich Roland, einer der älteren, Cædmon in die Halle zu geleiten.
    »Dort wird sich jemand finden, der sich deiner annimmt«, erklärte er zuversichtlich. »Aber Etienne hat recht, weißt du, du solltest dir die Haare kämmen. An deinen Lumpen können wir im Moment wohl nicht viel tun, aber hier legen sie großen Wert auf eine ordentliche Erscheinung.«
    »Ich habe keinen Kamm«, bekannte Cædmon beschämt.
    Roland wies auf die Fensterbank. »Dann nimm unseren. Und beeil dich ein bißchen. Wenn ich zu spät komme, krieg’ ich Schwierigkeiten.« Hastig fuhr Cædmon sich mit dem breitgezinkten Hornkamm durch seine schulterlangen Haare. Dann folgte er Roland durch den langen Gang und die Treppe hinab in die große Halle. Auch hier saßen die Leute beim Frühstück. Die unteren Bänke waren gut gefüllt, weiter oben erkannte Cædmon einen der Männer, die am Vortag mit dem Herzog geritten waren, aber Williams thronartiger Sessel an der hohen Tafel war leer. Etwa auf halber Höhe des linken Tisches saß ein Mann für sich mit dem Rücken zur Tafel. Roland steuerte zielstrebig auf ihn zu. »Verzeiht mir, Wulfnoth«, sagte er höflich.
    Der Mann hob den Kopf. Er hatte dunkelblonde, leicht gewellte Haare, die ihm bis über die Schultern fielen, aber, stellte Cædmon verwundert fest, keinen Bart.
    »Hier bringe ich Euch einen Landsmann«, fuhr Roland fort. »Cædmon of Helmsby.«
    Die gerunzelte Stirn des Mannes glättete sich, ein schwaches Lächeln hellte sein Gesicht auf, und als er sich weiter zu ihnen umwandte, erkannte Cædmon, daß er ein eigentümliches Ding auf dem Schoß hielt, das möglicherweise ein Musikinstrument war.
    »Danke, Roland«, sagte Wulfnoth. »Sei willkommen, Cædmon. Setz dich zu mir.«
    Cædmon nahm Platz und bedankte sich bei Roland, der sich eilig davonmachte.
    »Ihr seid … Earl Harolds Bruder?« fragte der Junge unsicher.
    Wulfnoth nickte. »Enttäuscht?«
    »Nein«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Aber Ihr seid … ganz anders.«
    Es bestand keinerlei Ähnlichkeit, und das lag nicht nur daran, daß Wulfnoth wenigstens zehn Jahre jünger war als sein Bruder. Wirkte Harold Godwinson groß und athletisch, geradezu hünenhaft, war Wulfnoth eher schmal und von mittlerem Wuchs. Statt Harolds eisblauer Augen waren seine meergrau. Seine Haare waren dunkler, seine Haut blasser.
    Er verzog den Mund zu einem spöttischen, kleinen Lächeln. »Tja, ich bin völlig aus der Art geschlagen, mein Junge. In jeder Hinsicht. Alle Godwinsons sind große Krieger und schlaue Politiker. Ich

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