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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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auch vor Klöstern und Kirchen nicht haltgemacht. Dergleichen hat er früher niemals getan. Man neigt dazu, es zu vergessen, aber er ist und bleibt ein Bischof, und er ist ein sehr frommer Mann. In den letzten Monaten hat er sich regelmäßig mit verschiedenen normannischen Adligen getroffen, sowohl in England als auch auf dem Kontinent. Unter anderem mit dem Earl of Chester, der aufgrund seiner Nähe zur walisischen Grenze eine große Truppe unterhält. Das alles hat Lanfranc … beunruhigt. Wir wußten es nicht so recht zu deuten. Bis Odric gestern zu mir kam und berichtete, was auf der Isle of Wight vor sich geht. Da ergab auf einmal alles einen Sinn.«
    »Du meinst, Odo wolle mit einer Streitmacht nach Rom ziehen und Papst Gregor stürzen?« fragte Cædmon fassungslos.
    »Es wäre weiß Gott nicht das erste Mal, daß so etwas passiert«, antwortete Guthric. »Gregor ist ein Autokrat …«
    »Ein was?« unterbrach Cædmon.
    »Jemand, der ganz allein herrschen will. Er hat viele Feinde. Für einen klugen Strategen wäre es ein leichtes, sie zu mobilisieren.«
    »Odo ist ein kluger Stratege«, bemerkte Aliesa.
    Guthric nickte. »Darum muß ihm Einhalt geboten werden, ehe er Gelegenheit bekommt, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Ich bin sicher, er hat alles minutiös vorbereitet. Schon allein die Tatsache, daß er unter unserer Nase eine Armee aufstellen konnte, ohne daß wir das geringste davon erfahren haben, beweist seine Klugheit. Ich hätte geschworen, so etwas sei unmöglich.« Er schüttelte den Kopf, als könneer es immer noch nicht so recht fassen. »Ich hätte geschworen, in England geschehe nichts, was Lanfranc nicht weiß. Darum mußt du heute nacht den Kanal überqueren und den König aufsuchen und es ihm erklären, Cædmon. Das ist etwas, das wirklich nur du tun kannst.« Cædmon stand reglos mit verschränkten Armen da, seine ganze Haltung drückte Ablehnung aus.
    Aliesa trat zu ihm und legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. »Guthric hat recht, Cædmon. Du mußt es tun.«
    Er sah sie an, nickte und zog unbehaglich die Schultern hoch. »Gott … wie William mich hassen wird für diese Nachricht.«

Carisbrooke, Mai 1082
    »Wer seid Ihr?« fragte der junge Wachsoldat verschreckt. »Was wollt Ihr?«
    William krallte eine seiner Pranken in das Kettenhemd, als sei es aus weichem Leinen, und schleuderte den schmächtigen jungen Mann gegen den Türpfosten. »Ich bin der König von England, du Lümmel, und ich hätte gern ein Wort mit meinem Bruder gesprochen, wenn ich nicht gar zu ungelegen komme!«
    Halb saß, halb lag der Junge am Boden und starrte mit großen Augen zu ihm auf. »O Jesus, Maria und Josef …«
    Der König stieg achtlos über ihn hinweg.
    »Sire«, sagte Robert de Mortain leise. »Ich bitte Euch nochmals: Erlaubt mir, zum Schiff zurückzukehren.«
    Über die Schulter warf William ihm einen kurzen Blick zu. »Nein. Hör endlich auf zu winseln, Robert. Er ist mein Bruder ebenso wie deiner, glaubst du, für mich sei es leichter?«
    Robert warf Cædmon einen hilflosen, kläglichen Blick zu und formte mit den Lippen die Worte: Ja, das glaube ich.
     
    Tatsächlich hatte William schnell, besonnen und mit größter Entschlossenheit gehandelt, als Cædmon ihm von seiner Gefangenschaft, von Odos verdächtigen Machenschaften und Guthrics Verdacht berichtet hatte. Der Zorn des Königs hatte sich in der Tat zuerst über dem Haupt des Unglücksboten entladen, aber es wurde nicht so schlimm,wie Cædmon gedacht hatte. William hatte keine Möbel zertrümmert und niemanden zusammengeschlagen. Vor allem hatte er nicht einen Moment lang an Cædmons Worten gezweifelt, sondern war umgehend nach England gesegelt, hatte seine Berater nach Winchester berufen, um gleich nach ihrem Eintreffen auf die Isle of Wight überzusetzen. Vor gut einer Stunde waren sie in Cowes gelandet und ohne jede Verzögerung hierher nach Carisbrooke geritten.
     
    Mit vier langen Schritten durchquerte der König die Vorhalle, und als er mit seinem beachtlichen Gefolge den Hauptraum der Burg betrat, verstummten die Instrumente der Musiker eines nach dem anderen, und auch das Stimmengewirr ebbte ab und versiegte.
    William trat an die hohe Tafel. »Auf ein Wort … Bruder.«
    Odo erhob sich langsam. »Sire.«
    Das war alles. Seine Stimme bebte nicht, klang auch nicht gepreßt, aber mehr brachte er nicht heraus. Er sah vom König zu ihrem jüngeren Bruder, dann weiter zu Warenne und Montgomery und all den anderen, an deren Seite er

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