Das zweite Königreich
genommen, dieser verfluchte, räuberische Bastard!«
Cædmon sah ihm in die Augen. »Wir werden Metcombe wieder aufbauen, wie wir es immer getan haben, und ich habe euch gesagt, ich werde euch mit Saatgut unterstützen, so gut ich kann. Darüber hinaus dulde ich in meiner Halle keine Beleidigungen gegen König William.« Er tat sein möglichstes, um den Leuten die Furcht vor dem Besuch derköniglichen Beamten zu nehmen und sie zu besänftigen, aber inwieweit ihm das gelungen war, würde er wohl erst wissen, wenn die normannischen Beamten nach Helmsby kamen. Viele Männer wirkten zufrieden und gehobener Stimmung wie am Ende eines jeden Folcmots, als die Versammlung sich schließlich auflöste und sie sich auf dem kürzesten Weg zum nächsten Bierfaß machten. Aber viele Gesichter waren auch verschlossen und finster.
»Ich wußte nicht, daß sie meinen Vater so hassen«, sagte Henry beklommen. Auf Cædmons Vorschlag hin hatte er auf der oberen Treppenstufe gehockt und das ganze Folcmot belauscht. Cædmon fand es wichtig, daß der Prinz erfuhr, wie es um die Volkesseele bestellt war. Sie saßen im kleinen Kreis in Cædmons und Aliesas Kammer, die sie Henry für die Dauer seines Besuches überlassen hatten.
»Das stimmt nicht, die meisten hassen ihn nicht«, widersprach Aliesa. »Er ist seit zwanzig Jahren ihr König und hat sie bis jetzt immer vor den Dänen beschützt. Sie haben sich längst an ihn gewöhnt, und sie wissen ihn auch zu schätzen. Aber niemand hat es gern, wenn ein anderer in seinen Angelegenheiten herumschnüffelt und sehen will, was und wieviel er besitzt. Das verletzt den Stolz vieler Menschen.«
»›Herumschnüffeln‹ ist wohl kaum der richtige Ausdruck«, widersprach Henry hitzig. »Hier geht es um die Grundlage zur Berechnung der rechtmäßigen Steuereinnahmen der Krone!«
Wulfnoth brachte ihm einen Becher. »Hier, mein Prinz.«
Henry trank und verzog das Gesicht. »Met. Das Zeug ist zu süß für meinen Gaumen, Wulfnoth.«
»Aber es besänftigt«, erwiderte der Junge ernst.
Henry sah stirnrunzelnd zu ihm auf und lachte plötzlich. »Wackerer Wulfnoth. Du hast so eine vornehme Art, mir zu sagen, daß ich mich schlecht benehme.« Er verneigte sich reumütig vor Aliesa. »Ich wollte dich nicht anfahren. Es … hat mich nur gekränkt, daß der alte Mann meinen Vater einen ›verfluchten räuberischen Bastard‹ genannt hat.« »Denk nicht, mir ging es anders«, sagte sie.
Cædmon stand mit verschränkten Armen am Fenster. »Hengest ist und bleibt unbelehrbar. Er ist alt und lebt in der glorreichen angelsächsischen Vergangenheit. Er ist ein Aufrührer, aber er spricht nicht für die Mehrheit, glaub mir, Henry. Doch es ist, wie Aliesa sagt, die Pläne des Königs treffen die Menschen an einer empfindlichen Stelle. Jemehr Leute bei der ganzen Geschichte einen kühlen Kopf bewahren, um so besser.«
»Es wird Widerstand gegen die Befragungen geben«, sagte Alfred besorgt. »Vielleicht nicht hier, aber ganz sicher anderswo. Vieles wird davon abhängen, wie die Beamten Eures Vaters die Leute behandeln, mein Prinz. Wie vernünftig und geduldig sie sind.«
»Nun, wenigstens ein vernünftiger, geduldiger Mann wird dabeisein«, sagte Cædmon zur Decke. »Darüber hinaus gescheit, gutaussehend, unerschrocken … was noch? Ach ja. Bescheiden, natürlich.«
Alle starrten ihn verständnislos an. »Wen meinst du?« fragte Ælfric. Bruder Oswald lachte in sich hinein. »Ich fürchte, sie haben dich nach deiner Beschreibung nicht erkannt, Cædmon.«
» Du ?« rief Aliesa verblüfft aus. »Der Thane of Helmsby soll mit den königlichen Schreibern durch England vagabundieren und Schafe zählen? Welcher Narr hat sich diesen Unsinn ausgedacht?«
»Ich war der Narr«, eröffnete Cædmon ihr ungerührt. »England wird für die Erhebung in sieben Bezirke unterteilt. Sieben Gruppen machen sich auf den Weg, um die Befragung durchzuführen. Eine Gruppe deckt Norfolk, Suffolk und Essex ab. Die werde ich begleiten. Vorausgesetzt, die Dänen kommen nicht vorher.«
»Aber warum willst du das tun?« fragte der Prinz verwundert.
»Um für die normannischen Schreiber und die englischen Bauern zu übersetzen. Ihnen zu helfen, einander zu verstehen, im wörtlichen wie auch in jedem anderen Sinne.« Er sah den Prinzen an. »Dafür hat dein Vater mich in seinen Dienst genommen, weißt du.«
Die Dänen hatten sich untereinander zerstritten, berichteten die Spione des Königs frohlockend, und daher im Augenblick
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