Das zweite Königreich
keine Zeit, in England einzufallen. König Knut hatte offenbar Mühe, seine Schiffsbesatzungen beisammenzuhalten. Die sonst so unerschrockenen Dänen fürchteten sich vor einem Krieg mit dem unbesiegbaren William, und jede Nacht verschwanden ein paar Dutzend Soldaten aus Knuts Lager. Also machte Cædmon sich, wie verabredet, mit den königlichen Kommissaren auf die Reise. Seine Anwesenheit bei den Befragungen erwies sich in der Tat als segensreich und half den Leuten, ihren Argwohn und ihre Furcht zu überwinden. Trotzdem war es oft schwierig und unerfreulich. Es gab Widerstand bis hin zu blutigen Zwischenfällen. Eine solche Erhebung hatte es nie zuvor gegeben, niemand hatte je von Vergleichbaremgehört, und dementsprechend groß waren Argwohn und Empörung. Außerdem war es mühsamer, als Cædmon gedacht hätte, denn die normannischen Schreiber waren nicht selten ratlos, welche lateinischen Worte sie für die angelsächsischen Stände und die Eigenheiten des englischen Besitzrechtes anwenden sollten. Erschöpft und erleichtert kam er Mitte Juni nach Hause.
»Hast du dich so gelangweilt, daß dir graue Haare gewachsen sind, oder ist es nur Staub?« erkundigte Aliesa sich, als sie ihn in der Halle begrüßte, und lachend klopfte sie ihn ab, ehe sie zuließ, daß er sie an sich zog.
Wie immer drückte er die Nase in ihre Haare und atmete tief durch. »Man sieht auf der Straße kaum die Hand vor Augen vor lauter Staub«, erklärte er. »Wir hatten unterwegs nicht einen Tag Regen. Wie war es hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keinen Tropfen. Das trockenste Frühjahr, das East Anglia je erlebt hat, meint Alfred. Er sorgt sich um die Ernte.« »Alfred sorgt sich immer um die Ernte«, entgegnete Cædmon und nahm von einer der Mägde dankend einen Becher entgegen. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Während er trank, sah er sich um. »Wie wunderbar leer es geworden ist.«
Sie folgte seinem Blick. »Gott sei Dank, ja. Die einquartierten Soldaten sind allesamt nach Norwich abkommandiert worden, und die Leute aus Metcombe sind nach Hause gegangen, um ihre Häuser wieder aufzubauen und ihre Felder zu bestellen.«
Er nickte. »Ich weiß. Ich war ja dort. In Begleitung deines Bruders übrigens. Die Sheriffs waren gehalten, die Kommissare zu begleiten, und wie immer nahm Lucien seine Pflichten sehr ernst.«
»Habt ihr gestritten?« fragte sie besorgt.
Cædmon stellte den leeren Becher auf dem Tisch ab und setzte sich. »Nein. Wie du weißt, sind wir seit Jahren höflich zueinander. Meistens. Beatrice ist wieder guter Hoffnung, hat er erzählt.«
Sie nahm neben ihm Platz und ergriff seine Hand. »So wie ich.«
Sein Kopf ruckte hoch. »Ist das wirklich wahr? Gott, ich brauche dich nur anzusehen, und schon ist es passiert.«
Aliesa lachte leise. »Vielleicht liegt es daran, daß du mich jedesmal ›erkennst‹, wenn du mich ansiehst.«
Cædmon grinste verlegen und sagte nichts. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Nach Matilda hatte Aliesa zwei Fehlgeburten gehabt. Inzwischen war sie fünfunddreißig, und mit jedem Jahr wurde das Risiko größer.»Es wird Zeit, daß damit Schluß ist«, murmelte er schließlich unbehaglich.
Sie hatte Mühe, sich ein süffisantes Lächeln zu versagen. »Ich werde dich zu gegebener Zeit an diesen guten Vorsatz erinnern.«
»Und wie geht es dir?«
Sie winkte ab und wechselte das Thema. »Der König wünscht, daß du so bald wie möglich zu ihm nach Westminster kommst. Eadwig war kurz nach Pfingsten zwei Tage hier und brachte die Nachricht.«
Cædmon raufte sich die Haare. Er wollte nicht. »Ich lasse dich jetzt nicht gern allein«, gestand er.
»Das brauchst du auch nicht. Die Einladung gilt für uns beide. Eadwig sagt, der Hof sei wieder einmal prächtig gewesen, und am Pfingstsonntag hat der König Henry zum Ritter geschlagen. Wulfnoth sei außer sich vor Stolz auf seinen Prinzen …«
»Aliesa, laß mich alleine zum König gehen. Ich werde dich entschuldigen. Ich müßte nicht einmal lügen, ich sehe doch, daß du nicht wohl bist.«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Das kommt nicht in Frage. Mach dir keine Gedanken. Ich bin nie wohl, wenn ich schwanger bin, das hat nichts zu bedeuten. Aber du warst über drei Monate fort, und ich will nicht, daß wir uns gleich wieder trennen müssen.«
»Nein, das gefällt mir auch nicht«, räumte er ein. »Aber es wäre besser so, glaub mir. Der König wird … immer schwieriger. Immer düsterer. Und er haßt es, zwei glücklich verheiratete
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