Das zweite Königreich
Männer zu finden, denn niemand übernahm dasAmt eines Eidhelfers leichtfertig. Aber notfalls würde Cædmon dem Jungen helfen, genügend Fürsprecher zu finden. Das war nicht verboten.
»Sonst noch jemand?« fragte Cædmon, und als niemand sich zu Wort meldete, fuhr er fort: »Bevor wir zur Planung für das Winterpflügen und anderen Angelegenheiten von allgemeinem Interesse kommen, muß ich euch etwas mitteilen.«
»Wie wär’s zur Abwechslung mal mit einer guten Neuigkeit, Thane?« rief eine biergeölte Stimme aus den hinteren Reihen und erntete Applaus und Gelächter.
Cædmon winkte grinsend ab und wurde gleich wieder ernst. »Vielleicht beim nächsten Mal, Byrtnoth«, antwortete er. »Hört zu: Der König möchte wissen, wie es um England und die Engländer bestellt ist. Er möchte wissen, wem wieviel Land gehört, wieviel Vieh, wie viele Sklaven, wie viele Mühlen, wieviel Wald oder Weideland, wer wem wieviel Pacht schuldet und so weiter und so fort. Er will wissen, wie diese Dinge zu Zeiten von König Edward standen, wie im Jahr der Eroberung, wie heute.«
»Warum will er nicht wissen, wie es zu Zeiten von König Harold war?« rief eine andere Stimme, und wieder gab es Beifall und Gejohle.
Gott, dachte Cædmon ungehalten, warum können sie nicht ein wenig disziplinierter sein und einfach zuhören? Warum können sie nicht wenigstens hin und wieder einmal ein ganz kleines bißchen normannischer sein? Aber er ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken, sondern fuhr fort: »Darum wird der König Männer ausschicken, die durchs Land reisen und eine Befragung durchführen. Das betrifft jeden von euch und mich ebenso, auch jeden Earl, Abt oder Bischof. Für jedes Dorf werden sechs vertrauenswürdige Männer bestimmt, die vor diesen Beamten des Königs eine beeidete Aussage über ihre Vermögensverhältnisse und die ihrer Nachbarn machen. Wer diese Männer sein sollen, werde ich mir gründlich überlegen und lasse es euch nächsten Monat wissen. Die Beamten des Königs werden alles, was sie erfahren, aufschreiben, und ihre Aufzeichnungen werden in der Kanzlei des Königs zusammengetragen.«
Es war totenstill geworden. Cædmon wechselte einen Blick mit Aliesa, ehe er die brisanteste seiner Neuigkeiten aussprach: »Nach der Auswertung dieser Aufzeichnungen werden die Steuern neu berechnet.« Es gab einen Tumult. Die Männer sprangen von den Bänken auf, redetenaufgeregt durcheinander, schimpften, gestikulierten wild und machten ihrer Empörung Luft. Viele riefen Fragen zu Cædmon hinüber. Er wartete, bis der Lärm erstarb, und als es beinah wieder still war, sagte er betont leise: »Ich verstehe eure Besorgnis, und ich kann auch nicht behaupten, daß ich über die ganze Sache besonders glücklich bin. Aber weder ihr noch ich werden gefragt. Und es ist letztlich auch keine solche Katastrophe. Sie werden herkommen, ihre Fragen stellen, eure Antworten aufschreiben und wieder verschwinden. Nur eins müßt ihr beherzigen: Ihr dürft sie unter gar keinen Umständen anlügen. Denkt daran, daß ihr eure Aussagen unter Eid macht, wie hier beim Folcmot. Wer lügt, versündigt sich nicht nur gegen den König, sondern auch gegen Gott. Wie Gott das ahnden wird, weiß ich nicht. Der König wird jeden Meineidigen blenden und kastrieren lassen. Es werden Normannen sein, die kommen. Also seid möglichst höflich und laßt euch eure Erbitterung nicht anmerken, um so schneller verschwinden sie wieder. Fragen?«
Sie hatten eine Menge Fragen, und Cædmon antwortete geduldig, soweit er dazu in der Lage war. Aber welche Angaben zu einem Feld gemacht werden sollten, dessen Eigentümerschaft umstritten war, ob die Beamten des Königs vor oder nach dem Schlachten kommen würden und vor allem, wie genau die Steuern in Zukunft berechnet werden sollten, all das wußte Cædmon auch nicht.
»Aber was geht es den König an, wie viele Schafe ich besitze? Oder wie viele Tage Arbeit pro Woche ich Euch für das Land schulde, das ich von Euch gepachtet habe, Thane? Wieso will er das wissen?«
»Das weiß ich nicht, Byrtnoth. Aber er ist der König und kann von jedem seiner Untertanen erfragen, was immer seine Neugier erweckt.« »Mich kann er ruhig fragen, ich habe nichts zu verbergen«, verkündete der Müller von Metcombe. Hengest war ein alter Mann geworden, aber er stand immer noch aufrecht, seine Stimme war nach wie vor kräftig, und sein Wort hatte unverändert Gewicht bei den Nachbarn. »Alles, was ich je besessen habe, hat er mir schon
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