Das zweite Königreich
Gesicht sich zu einem höhnischen Lächeln verziehen, und der Normanne würde irgend etwas Abfälliges über die Waffenkunst der Engländer sagen. Aber weil ihm nicht viel anderes übrigblieb, antwortete der Junge wahrheitsgemäß: »Nicht viele. Aber er hat mit Earl Harold gegen die Waliser gekämpft, und wann immer die Dänen die Küste bedrohen, hilft er, sie zurückzuschlagen.«
»Führt er das Schwert mit beiden Händen?«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Die Streitaxt, ja. Aber wenn er mit dem Schwert kämpft, trägt er in der Linken einen Schild.«
»Warum führst du das Schwert dann beidhändig?«
Cædmon überlegte einen Augenblick. »Ich fand es recht schwer. Und wenn man es in beiden Händen hält, kann man das Gleichgewicht besser halten.«
»Mag sein, aber man ist nicht beweglich genug, wenn man zu Pferd kämpft.« Plötzlich legte er die Hand um Cædmons rechten Oberarm. Dann brummte er: »Kein Wunder, daß du ein Schwert für schwer hältst. Ich fühle hier nichts als Haferbrei. Womit vertreibt ihr jungen Kerle in England euch die Zeit, he? Blumenpflücken?«
Cædmon rang mit einem mächtigen Drang, seinen Arm loszureißen. Er biß die Zähne zusammen. »Nein.«
Jehan ließ ihn los. »Na schön. Im nächsten Durchgang mißt du dich mit Roger.« Er wies auf einen großen, breitschultrigen Jungen, der alt genug schien, um Jehans Klauen bald zu entkommen. »Leg die linke Hand auf den Rücken und laß sie dort. Wenn wir mit Schwert und Schild üben, wirst du sehen, daß du Schild und Zügel zusammen in der Linken halten mußt, aber für heute mach es wieder so wie eben, wickle den Zügel um den Sattelknauf. Dein linker Arm macht gar nichts.« Cædmon nickte.
Jehan winkte Roger näher und wies die anderen an: »Seht alle genau hin und vergleicht Cædmons Stil mit Rogers. Wenn ihr euch ein bißchen Mühe gebt und ausnahmsweise mal die Augen öffnet, könnt ihr vielleicht etwas lernen.«
Roger kämpfte ebenso fair wie Etienne, aber weitaus härter. Nach wenigen Augenblicken drohte Cædmon das Schwert zu verlieren, und instinktiv faßte er wieder mit der linken Hand an das Heft und ließ sie dort. Es ging nicht anders, er konnte die Waffe mit einer Hand nicht halten.
Jehan brach den Kampf ab, trat zu Cædmon, zog ihn aus dem Sattel und schlug ihn mit der Faust zu Boden. Ehe der Junge aufstehen konnte, hatte der Normanne seine kurze Lederpeitsche aus dem Gürtel gezerrt und ließ sie auf seinen linken Oberarm niedersausen. »Du solltest besser schnell lernen, zu tun, was ich dir sage.« Er schlug noch einmal zu und traf die linke Schulter.
Cædmon hatte sich auf die Zunge gebissen und kniff die Augen zu.Nicht noch mal, dachte er atemlos, bitte nicht noch mal, sonst werd’ ich dir den Gefallen tun müssen und brüllen.
Aber Jehan trat zurück. »Steh auf.«
Cædmon kam so schnell wie möglich auf die Füße.
»Sind wir uns einig, daß der linke Arm jetzt auf deinem Rücken bleibt?«
Cædmon atmete tief durch. »Ich glaube nicht, daß er im Augenblick zu etwas anderem taugt. Aber das Schwert wird mir aus der Hand gleiten.«
»Das würde ich mir an deiner Stelle gut überlegen. Du bist schlecht in Form, darum kannst du ein paar Minuten ausruhen, ehe wir es noch einmal versuchen. Etienne, Paul, aufsitzen, los. Ihr seid an der Reihe …«
Im weiteren Verlauf wurde der Tag nicht besser. Jehan de Bellême war ein erbarmungsloser Zuchtmeister. Er verlangte absolute Disziplin, duldete jeden Fehler nur einmal und schikanierte seine Zöglinge nach einem ausgeklügelten System. Mit tiefstem Abscheu reagierte er auf jedes Anzeichen von Schwäche. Noch ehe es Mittag wurde, befand Cædmon sich in einem Jammertal dumpfer Verzweiflung. Weil er bei allen Aufgaben, die mit Schnelligkeit und Beweglichkeit zu tun hatten, immer der Letzte war, lud er sich tatsächlich eine solche Vielzahl ungeliebter Aufgaben auf, daß es so aussah, als solle er bis tief in die Nacht beschäftigt sein.
Beim Abendessen, das er mit den anderen Jungen in ihrem Quartier einnahm, kaute er mühsam auf dem alten, harten Brot, das Jehan ihm verordnet hatte. Cædmon hatte zwar für alle das Essen aus der Küche holen müssen, durfte den anderen aber nur beim Vertilgen ihrer dicken Schweinekoteletts zusehen. Es war ihm gleich. Er war zu müde und deprimiert, um Hunger zu verspüren.
Etienne stand von seinem Platz auf, und als er an Cædmon vorbeikam, der ein wenig abseits saß, legte er ihm kurz die Hand auf die Schulter. »Es wird
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