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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Folgen auf ihn nieder wie ein Steinhagel. Es bedeutete, daß er Helmsby und seine Eltern und Geschwister auf lange Zeit nicht wiedersehen würde. Daß er England ebenso lange nicht wiedersehen würde. Niemanden außer Wulfnoth und sich selbst die Sprache würde sprechen hören, in der er dachte und träumte. Daß er auf unabsehbare Zeit als schlechtgelittener Gast bei diesen fremden, oft feindseligen Normannen bleiben mußte. Und es bedeutete, daß er auf ebenso unabsehbare Zeit Jehan de Bellême ausgeliefert blieb.
    Er wollte gehen. Er wollte die hell erleuchtete Halle verlassen, sich einen stillen Winkel suchen und heulen wie ein kleiner Bengel.
    »Ich bin sicher, du wirst deinem Land Ehre machen, Cædmon.«
    »Das kann ich nicht versprechen, Mylord.«
    Harold hob das Kinn und betrachtete ihn mit kühlem Befremden. »Nun, ich bin überzeugt, dein Vater wird meine Entscheidung verstehen und gutheißen. Und er wird sich auf dich verlassen.«
    Geschwätz, dachte Cædmon wütend. Mein Vater ist dir doch ganz egal. »Ich werde sofort nach meiner Rückkehr zu ihm gehen. Wünschst du, daß ich ihm etwas ausrichte?«
    »Ja.«
    »Dann überleg dir gut, was du ihm sagen willst. Wer kann schon wissen, ob ihr euch in dieser Welt wiederseht.«
    Cædmon nickte und folgte dem Rat. Er überdachte seine Botschaft sorgfältig. »Sagt ihm, ich sende ihm ergebene und respektvolle Grüße.Und sagt ihm, ich sende ihm Bruder Oswald, damit er Guthric mit nach Ely nehmen kann.«
    Harold runzelte die Stirn. »Eine eigentümliche Botschaft.«
    »Aber mein Vater wird sie verstehen. Darf ich gehen, Mylord?«
    »Natürlich.«
    Cædmon wandte sich hastig ab und floh aus der Halle. Als er die Stimmen und das Licht hinter sich ließ, spürte er, wie feucht seine Stirn und die Hände waren. Erst jetzt spürte er wirklich das ganze Ausmaß seiner Erschütterung. Ohne festes Ziel lief er die Treppe hinunter. Er brauchte Luft. Er wollte den Himmel sehen.
    Draußen war es noch nicht ganz dunkel. Der Sommer war gekommen, die Abende waren lang. Eine sanfte Brise strich über das lange Gras im Hof, die Dämmerung tauchte die Palisaden und Wirtschaftsgebäude in ein klares, blaues Licht. Cædmon atmete tief durch. Er legte den Kopf in den Nacken, sah im Westen den Abendstern funkeln und nahm aus dem Augenwinkel eine schattenhafte Gestalt wahr. Blinzelnd blickte er in die Richtung und erkannte einen Mann, der die Treppe zur Brustwehr an der Flußseite der Palisaden hinaufeilte. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, ohne sich am Geländer abzustützen. Cædmon verfolgte seinen Aufstieg mit gerunzelter Stirn, dann setzte er sich in Bewegung. Er faßte keinen bewußten Entschluß, er hatte auch keinen klaren Gedanken, er rannte einfach los.
    In Windeseile überquerte er den Hof, seine dünnen Lederschuhe verursachten keinen Laut auf dem jungen Gras. Dann war er an der Treppe und hastete hinauf, leichtfüßig und schnell. Diese Treppen kannte er wirklich weitaus besser, als ihm lieb war, er wußte genau, wo er hintreten mußte, damit sie nicht knarrten.
    Er erreichte den Mann, als dieser gerade ein Bein über die Brüstung schwang, packte ihn von hinten mit beiden Armen und riß ihn zurück. »Nein.«
    »Laß mich … Um der Liebe Christi willen, laß mich los, Cædmon!« »Auf keinen Fall. Komm runter. Tu das nicht, Wulfnoth. Bitte. Du kommst in die Hölle, wenn du das machst …«
    »Das Risiko nehme ich willig in Kauf. Und jetzt sei so gut und nimm deine Hände von mir.«
    Cædmon bot seine ganze Kraft auf und zog Wulfnoth mit einem Ruck zurück. Zusammen landeten sie auf den Holzbohlen der Brustwehr. Cædmon weinte. »Bitte, Wulfnoth.«
    Wulfnoth atmete tief durch. »Jetzt sag bloß nicht, ›laß mich nicht allein‹.«
    »Laß mich nicht allein.«
    »Cædmon … ich weiß nicht, wie ich dir das begreiflich machen soll. Es ist einfach so: Ich will nicht mehr. Bitte, laß mich los und verschwinde, ehe mich der Mut verläßt.«
    »Nein …«
    Wulfnoth wollte ihn abschütteln und aufstehen, Cædmon riß ihn zurück, und sie rangen miteinander, beide gleichermaßen entschlossen, ihren Willen durchzusetzen. Gefährlich nah rollten sie an die ungesicherte Kante der Brustwehr, und gerade als Cædmon spürte, wie die Kraft aus seinen Armen wich und Wulfnoth ihm entglitt, war plötzlich ein Schatten über ihnen, eine unheimliche, große Gestalt sperrte das schwindende Licht aus, packte ohne die geringste Mühe jeden an einem Oberarm, brachte sie auseinander und

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