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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zerrte sie auf die Füße.
    »Nun, Söhnchen«, raunte die vertraute, verhaßte Stimme, »wie ich höre, bleibst du mir noch ein Weilchen erhalten.«
    Cædmon konnte die Hand auf seinem Arm nicht ertragen und riß sich wütend los. Wulfnoth hingegen stand reglos, mit gesenktem Kopf. »Jehan«, sagte er leise. »Wenn Ihr ein Mensch seid und wißt, was Barmherzigkeit ist …«
    »Oh, entgegen anderslautender Meinung bin ich ein Mensch und weiß durchaus, was Barmherzigkeit ist, aber ausnahmsweise hat der Bengel hier einmal recht, und ich werde Euch nicht erlauben, Euch in unsere schöne Seine zu stürzen. Es gibt eine junge Dame an diesem Hof, die mir das niemals verzeihen würde.«
    Der Schreck fuhr Wulfnoth so heftig in die Glieder, daß er die Finsternis seiner Seele für einen Augenblick vergaß. »Woher wißt Ihr …« Jehan lachte heiser. »Hier passiert nicht viel, das mir entgeht, mein Freund. Und jetzt gehen wir zurück, alle drei.«
    Schweigend überquerten sie den Burghof, betraten das Gebäude und stiegen die Treppen hinauf. Cædmon und Jehan geleiteten Wulfnoth bis vor sein Quartier. Wulfnoth würdigte sie keines Blickes mehr, ging hinein und schloß die Tür, und sie hörten die Riegel einrasten. Sicherheitshalber hielt Jehan trotzdem den ersten Wachsoldaten an, dem sie auf dem Gang begegneten, und hieß ihn, Wulfnoths Kammer zu bewachen.
    Dann brachte Jehan auch Cædmon bis vor die Tür. »Du warst schnelleben im Hof. War dir wichtig, daß er nicht springt, he? Diese Jammergestalt ist schließlich alles, was du vorläufig von deiner Heimat zu sehen kriegst, richtig?«
    »Stimmt. Kann ich gehen?«
    »Ja, geh nur. Und wenn du damit fertig bist, dir die Augen auszuheulen, dann denkst du vielleicht mal drüber nach, wieso du bedauernswerter Krüppel schneller als der Wind den ganzen verdammten Hof überqueren konntest.«
    Cædmon sah ihn argwöhnisch an, sicher, daß Jehan auf irgendeine besonders abscheuliche Gemeinheit hinauswollte, aber dann weiteten sich seine Augen plötzlich. »Gott … Bin ich … bin ich ehrlich gelaufen, ohne zu hinken?«
    Jehan sah ihm in die Augen und legte für einen winzigen Moment die Hand auf seine Schulter. »Gute Nacht, Söhnchen. Wir sehen uns morgen früh.«

Helmsby, September 1065
    »Was machst du da, Hyld?«
    Hyld stieß zischend die Luft aus und hätte um ein Haar den Schmalztopf fallen lassen, den sie in Händen hielt. »Gott, Eadwig, mußt du dich immer so anschleichen?«
    Der kleine Junge wich gekränkt zurück. »Ich hab mich gar nicht angeschlichen!« protestierte er.
    Hyld bekam ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihren kleinen Bruder nicht anfahren wollen. »Entschuldige …« Sie seufzte leise und strich ihm über die blonden Engelslocken. »Du hast mich erschreckt, das ist alles. Sei nicht böse.« Sie schnitt zwei dicke Scheiben von einem runden, dunklen Brotlaib ab, bestrich sie mit Gänseschmalz und schlug sie in ein Tuch.
    Eadwig sah ihr mit großen Augen zu. »Bekomm ich auch was?«
    Sie schnitt noch ein kleines Stück Brot ab, tauchte es in den Honigtopf und hielt es ihm hin. »Hier. Und jetzt verschwinde.«
    Eadwig dachte nicht daran. »Was hast du denn vor, wovon ich nichts wissen soll?«
    Hyld wandte ihm wieder den Rücken zu. »Das werde ich dir bestimmtnicht auf die Nase binden.« Sie nahm einen Krug von einem Bord an der Wand, trat damit ans Bierfaß und tauchte ihn ein. Dann trank sie einen Schluck ab, damit er nicht mehr ganz gefüllt war, und stellte ihn vorsichtig in den Korb.
    »Sag’s mir doch. Bitte, Hyld. Ich verrat’s auch bestimmt niemandem.« »Meine Güte, was stellst du dir vor? Gunnild ist krank. Ich gehe ins Dorf und bringe ihr ein bißchen Schmalzbrot und Bier. Das ist alles.« »Nimmst du mich mit?«
    »Nein.«
    »Och … Bitte, Hyld.«
    Sie lachte und hob abwehrend die Hände. »Gib dir keine Mühe. Die Antwort ist nein. Du bist zu ungeduldig für einen Krankenbesuch. Kaum wärst du da, würdest du schon wieder gehen wollen. Vermutlich willst du ohnehin nur ins Dorf, um mit dem Jüngsten des Schmieds zusammen die Obstbäume zu plündern. Nein, nein, du bleibst schön hier.«
    »Ach, schade.« Der Kleine sah niedergeschlagen zu Boden, und der Anblick seines gesenkten Kopfes und seiner langen Wimpern machte Hyld beinah schwach. Sie beeilte sich, den Korb fertig zu packen, und küßte ihren Bruder auf die Stirn. »Sag Mutter, ich bin vor der Vesper zurück.«
    Hastig verließ sie das dämmrige Vorratshaus und trat hinaus ins Freie.

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