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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Es war kurz vor Mittag, und die Sonne stand hoch am blauen Sommerhimmel. Eine beinah schläfrige Stille lag über dem Hof. Es roch nach warmem Heu und trockener Erde. Hyld sog den Duft tief ein, hängte sich ihren Korb über den Arm und machte sich auf den Weg.
    Sie hatte Eadwig angelogen. Ihr Weg führte sie nicht ins Dorf, sondern an den Feldern vorbei, durch das kleine Wäldchen von Helmsby bis zu den Wiesen am Ufer eines breiten Baches, der ein paar Meilen weiter nördlich in den Ouse floß. Gemächlich strömte er durch sein tiefes Bett im hohen Gras, hier und da überschattete eine Weide das kühle, dunkle Wasser.
    Unter einem der Bäume saß ein Mann im Schatten und betrachtete ohne besonderes Interesse die große Schafherde, die auf der Wiese zwischen Ufer und Wald weidete. Dann hob er den Kopf ein wenig, stieß einen leisen, langgezogenen Pfiff aus, und ein schwarzes, zottiges Ungetüm von einem Hund, das einen Steinwurf von ihm entfernt in der Sonne gedöst hatte, sprang auf und schritt die Herde ab wie ein Feldherrseine Truppen bei einer Heerschau. Der Schäfer selbst blieb, wo er war, rupfte einen Grashalm aus, steckte ihn zwischen die Lippen und wollte sich im Gras ausstrecken, als er Hyld entdeckte.
    Ein plötzliches Lächeln vertrieb den Ausdruck versonnener Melancholie von seinem Gesicht. »Ah.« Es war ein kurzer Laut, der keine Verblüffung, aber eine Art wohliger Zufriedenheit ausdrückte. »Und was mag dich herführen?«
    Sie trat näher und kniete sich neben ihn in den Schatten. »Ich wollte dir etwas bringen.«
    »Was denn?«
    Sie stellte den Korb zwischen sie ins Gras. »Schmalzbrot.«
    »Und?«
    »Bier.«
    »Und?«
    »Mich.«
    Er lachte leise, richtete sich plötzlich auf und nahm ihre Hand. Er bewegte sich mit einer katzenhaften Schnelligkeit und Anmut, die sie immer wieder aufs neue bannten. Willig ließ sie sich in seine Arme ziehen, saugte an seinen Lippen, fühlte seine Hände um ihre Taille und spürte das vertraute Herzklopfen, das zu gleichen Teilen aus Verliebtheit und aus Angst hervorgerufen wurde. Sie konnte sich immer noch an ihrer eigenen Verwegenheit berauschen. Aber als seine Hand sich unter ihren Rock stehlen wollte, schob sie sie weg.
    »Nichts da. Hier, iß«, befahl sie.
    Er ließ die Hände sinken und legte den Kopf schräg. »Was ist? Hast du Angst, Dunstan könnte vorbeikommen?«
    »Gott, sag doch so etwas nicht, Erik!«
    Der junge Däne winkte beruhigend ab. »Er ist in aller Herrgottsfrühe mit deinem Vater zusammen fortgeritten. Sie treffen sich in Ely mit Harold Godwinson. So bald werden sie nicht zurückkommen.«
    Sie sah ihn ungläubig an. »Woher weißt du solche Dinge nur immer? Sie haben gesagt, sie reiten nach Ely, aber ich dachte, sie wollten Guthric besuchen. Von Harold Godwinson war keine Rede. Zieht Dunstan dich neuerdings ins Vertrauen, ja?«
    Eriks Gesicht verdüsterte sich einen Moment. »So würde ich es nicht nennen. Dunstan hat nach wie vor nur ein einziges Interesse an mir. Wie sagte Guthric doch so schön? Dunstan hat eine echte Schwäche für mich.« Er schnitt eine Grimasse.
    Hyld seufzte und legte den Kopf an seine Schulter. »Das muß in der Familie liegen.«
    Sie lachten. Von Anfang an hatten sie viel zusammen gelacht, obwohl ihre Situation alles andere als erheiternd war. Wenn Hyld nachts wachlag und mit ihren Dämonen rang und ihrer Furcht, war ihr nur zu bewußt, wie entsetzlich im Grunde war, was sie tat. Wie unverzeihlich. Und daß es kein gutes Ende nehmen konnte.
    Ihr Vater hatte in letzter Zeit gelegentlich davon gesprochen, es werde Zeit, daß sie heirate. Und er hatte ihr ein paar geeignete Kandidaten vorgeschlagen, Nachbarn und entfernte Vettern – Thanes aus der näheren Umgebung oder deren Söhne, gute Männer und gute Partien ausnahmslos. Doch sie hatte alle rundheraus abgelehnt. Ihr Vater war ihr nicht böse. Sie könne es nicht ewig vor sich herschieben, hatte er bemerkt, aber er wolle sie zu nichts zwingen, er werde keine Entscheidung ohne ihr Einverständnis treffen. Das war ausgesprochen großzügig; längst nicht alle Väter machten sich die Mühe, bei der Wahl der Ehemänner Rücksichten auf die Wünsche ihrer Töchter zu nehmen. Ælfric überließ die Entscheidung letztlich ihr. Nur hatte er dabei ganz sicher nicht an einen dänischen Sklaven gedacht, einen Piraten, der ihre Nachbarn überfallen und ihren Bruder zum Krüppel gemacht hatte.
    Hyld fand es ja selber befremdlich. Solang sie zurückdenken konnte, hatte sie

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