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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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unseren Novizen lasse?«
    »Sie ist seine Schwester«, wandte Oswald ein.
    »Das sagen sie alle …«
    »Aber ich kenne sie.«
    »Trotzdem. Gleich müssen wir alle zur Komplet, und der Junge hockt gewiß noch über den Büchern.«
    Oswald seufzte leise. »Nein, heute nicht.« Er dachte einen Moment nach und schenkte seinem Mitbruder sein gewinnendes Lächeln. »Muß nicht auch ein Bruder Pförtner hin und wieder einmal austreten? Angenommen, du wärest gar nicht hier gewesen, als es am Tor klopfte, sondern ich hätte geöffnet?«
    »Das wäre eine Lüge, Oswald«, entgegnete Sigebert, aber man konnte hören, daß er ins Wanken geraten war.
    Oswald legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter. »Aber sie dient gewiß einer guten Sache …«
    Der alte Mönch nickte zögernd, wandte sich ab und schlurfte davon. Oswald öffnete die Pforte. »Komm herein, Hyld. Schnell. Aber der Wikinger muß draußen warten.«
    Erik war über die Schwelle getreten, ehe Hyld sich rühren konnte. »Ich gehe, wohin sie geht«, erklärte er nicht unfreundlich.
    Oswald zog die Brauen hoch, wechselte einen kurzen Blick mit Hyld und hob dann die Schultern. »Meinetwegen. Kommt. Hier entlang.« Er führte sie eilig durch den Innenhof, am Refektorium vorbei und um die Klosterkirche herum in einen kleineren, grasbewachsenen Hof, wo ein dampfender, großer Eisenkessel über einem prasselnden Feuer hing. Guthric stand mit aufgekrempelten Ärmeln über den Kessel gebeugt und versuchte, mit einer riesigen hölzernen Gabel etwas wie ein großes Stück Tuch aus dem kochenden Wasser zu fischen.
    Hyld blieb stehen und starrte ihren Bruder an. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn in einer Mönchskutte zu sehen. Dumm von mir, ging ihr auf.
    Oswald trat an die Feuerstelle. »Du hast Besuch, Guthric. Hier, laß mich das machen.«
    Guthric wandte sich um. »Hyld!« Er drückte Oswald die Holzgabel in die Hand und trat eilig zu ihr und Erik. »Was ist geschehen? Vater und Dunstan waren gestern noch hier …«
    Sie nahm seine linke Hand in ihre beiden. »Es geht allen gut, Guthric.« Er sah unsicher von ihr zu Erik und wieder zurück. »Ich hoffe, daß ihr zwei hier zusammen erscheint, hat nicht das zu bedeuten, was ich glaube.«
    Erik brauchte einen Augenblick, um diesen etwas verworrenen Satz zu durchschauen, dann verschränkte er die Arme und schenkte dem jungen Novizen ein waschechtes Seeräuberlächeln. »Ich weiß ja nicht, was du dir vorstellst, aber vermutlich schon.«
    Guthric wandte sich mit großen, bekümmert dreinblickenden Augen an seine Schwester. In seinem Rücken hatte Bruder Oswald endlich das große Tuch aus dem kochenden Wasser gefischt, und Erik erkannte, daß es sich keineswegs um ein Stück Stoff oder ein Laken handelte, sondern um eine Tierhaut. Der Mönch trug seine dampfende, tropfende Last zu einem aufrechten Holzrahmen hinüber, nahm sie mit spitzen Fingern von der Holzgabel und schlang sie über die obere Querlatte. Dann fädelte er eine Schnur in eine dicke Nadel, stach am Rand in die Tierhaut und nähte sie mit großen Schlaufen in den Rahmen, straff gespannt. Er arbeitete geschickt und schnell. Als er fertig war, kam er zu ihnen zurück und legte Guthric im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. »Schab sie ab, solange sie heiß ist, sonst ist es die doppelte Arbeit.«
    »Ja, Bruder Oswald«, antwortete der Junge abwesend. »Danke für deine Hilfe.«
    Mit einem letzten, aufmerksamen Blick auf Bruder und Schwester wandte der Mönch sich ab und verschwand hinter der Kirche.
    Guthric zog Hyld mit sich zu seinem Holzgestell. »Komm, wir können ebensogut hier reden.«
    »Was machst du da?« fragte sie neugierig.
    Guthric nahm einen hölzernen Schaber in die Hand und zog ihn über die Tierhaut. Ein unappetitlicher Fettschmier blieb daran zurück. »Pergament«, antwortete er knapp.
    Hyld nickte und biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte nicht, wie sie anfangen sollte, Guthric erschien ihr mit einemmal nicht nur fremd, sondern unnahbar. Das tut er absichtlich, ging ihr auf. »Guthric, ich gehe fort.«
    Er hielt nicht inne. »Wohin?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    Er warf ihr einen kurzen Blick zu, ein kleines, spöttisches Lächeln aufden Lippen. »Du wählst mich zu deinem Fürsprecher, aber du traust mir nicht?«
    »Du gibst mir nicht gerade Anlaß, dir zu trauen. Ich wäre nicht hergekommen, aber ich bin …« Verzweifelt, hatte sie sagen wollen, doch sie ließ es lieber unausgesprochen. »Ich glaube, ich bekomme ein Kind,

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