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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Kellerloch, wo ich sie nicht sehen muß! Sofort!«
    Die Wachen eilten herbei, und Cædmon spürte einen eisernen Griff im Nacken, eine zweite Hand umklammerte seinen linken Oberarm. »Komm schon«, sagte der Soldat unwirsch. Er zerrte ihn herum, und für einen kurzen Moment sah Cædmon Aliesa, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, ohne daß er hätte sagen können, ob es Abscheu oder Furcht um sein Leben war, die sie empfand. Ihre Blicke trafen sich, doch dann trat ihr Bruder zwischen sie. Seine Miene war unschwer zu deuten. Er genoß das Schauspiel, das sich ihm bot.
    Der Wachsoldat versetzte Cædmon einen unsanften Tritt in die Wade und zerrte ihn zur Tür. »Beweg dich.«
    Cædmon erkannte ihn erst jetzt. Es war Michel, der seit jener verrückten Nacht auf der Brustwehr einer seiner wenigen Freunde unter den Männern des Herzogs gewesen war. Damit schien es jetzt allerdings vorbei zu sein.
    Aber Cædmon irrte sich. Kaum waren sie zur Tür hinaus, ließ Michel ihn los. »Ich werde für dich beten, Cædmon«, murmelte er.
    »Ja, ich glaube, ich habe im Augenblick jede Art von Fürsprache nötig«, erwiderte Cædmon beklommen.
    Michel und der zweite Wachsoldat brachten sie in ein wahrhaft schauriges Kellerverlies. Es war ein relativ großer Raum mit einer niedrigen Decke, die auf dicken, steinernen Pfeilern ruhte. Als Michel mit einer Fackel eintrat, huschten ein gutes Dutzend Ratten in alle Richtungen davon.
    »Es ist das beste, was wir zu bieten haben«, entschuldigte er sich bei den beiden Gefangenen.
    Cædmon und Wulfnoth nickten ergeben. Im Augenblick hatten sie wirklich andere Sorgen.
    »Ich bringe euch Decken«, versprach Michel. »Sonst noch irgendwas, das ihr braucht?«
    Sie schüttelten die Köpfe. Erst später kam ihnen der Gedanke, daß sie sich die eintönigen Stunden in dieser finsteren Gruft mit der Laute hätten verkürzen können.
    Michel befestige die Fackel an einer Halterung in der Wand und ging hinaus. Der Riegel rasselte vernehmlich. Wulfnoth setzte sich mit dem Rücken an einen der Pfeiler gelehnt ins Stroh. Cædmon blieb nahe der Tür stehen, sah sich um, nahm die Schleuder vom Gürtel und fischte einen der Kiesel aus seinem Beutel, die er gewohnheitsgemäß immer bei sich trug.
    »Gib acht, was du triffst, Cædmon. Wenn du mir ein Loch in den Schädel schießt, wird William schwer enttäuscht sein. Ein eingedelltes Krönungsgeschenk macht sicher einen schlechten Eindruck.«
    Cædmon antwortete nicht. Er legte den Stein ein und ließ die Schleuder über dem Kopf kreisen, bis sie gleichmäßig sang. Dann schnellte der Stein heraus und traf eine große Ratte genau zwischen die Augen.
    »Nummer eins.«
    »Du hast nicht genug Steine, um sie alle zu erledigen.«
    »Dann werde ich mir meine Steine eben wiederholen.« Er legte einen neuen ein und tötete die zweite Ratte.
    »Herrgott, hör auf damit!« herrschte Wulfnoth ihn an.
    Cædmon zog die Brauen hoch, zuckte dann die Schultern und ließ sich ihm gegenüber im Stroh nieder. Es war längere Zeit still.
    Schließlich fragte er: »Wird er uns töten, Wulfnoth?«
    »Ich weiß es nicht. Eben in der Halle dachte ich, er würde es auf der Stelle tun. Ich denke, je mehr Zeit vergeht, um so besser stehen unsere Chancen.«
    Cædmon nickte. »Na ja. Die Sache hat auf jeden Fall ihre gute Seite. Solange wir hier eingesperrt sind, habe ich Ruhe vor Jehan de Bellême. Das ist ein nicht zu überschätzender Vorzug. So betrachtet, könnte ich mich an dieses Quartier durchaus gewöhnen. Vor allem, wenn du mir gestattest, die Ratten zu …«
    »Cædmon, du darfst nicht denken, dein Vater hätte dich willig geopfert. Ich bin überzeugt, ihm blieb keine andere Wahl. Du hast keine Vorstellung, wie Harold einem Mann zusetzen kann, wie …«
    »Hör doch auf«, fiel Cædmon ihm ärgerlich ins Wort. »Ich bin kein Bengel mehr.«
    »Nein. Ich sage dir diese Dinge, weil es so ist. Weil ich meinen Bruder soviel besser kenne als du.«
    Cædmon winkte ungeduldig ab. »Und wenn schon. Mag sein, daß mein Vater mich heute nicht geopfert hat, aber vor zwei Jahren hat er es ganz sicher getan. Und im Grunde ist es auch völlig gleich, wer uns den Strick umgelegt hat, an dem wir zur Schlachtbank geführt werden. Ob mein Vater oder dein Bruder, was macht das für einen Unterschied?«
    Wulfnoth nickte zustimmend. »Nicht den geringsten, du hast recht.« Er streckte die Beine aus und lehnte den Kopf zurück gegen den dicken, gemauerten Pfeiler. »Gott, Harold, welch

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