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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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Spritzen geben zu lassen? Die Frage brachte Rolston fast um den Verstand. Er stellte sie sich jeden Tag aufs neue. Der Arzt des Teams hatte ihr hohe physische Stabilität bescheinigt, und der Psychologe war von ihrer Anpassungsfähigkeit und überragenden Intelligenz überzeugt. Sie hätte nicht einmal die üblichen Kurse zu absolvieren brauchen, um in einer zivilisierten Gesellschaft leben zu können. Alles wäre so einfach gewesen, doch sie hatte sich bis zuletzt geweigert.
    Nicht, weil sie ihm mißtraut hätte. Die Gefühle, die Naleen und er füreinander gehegt hatten, schlossen dies vollkommen aus. Was ihre Weigerung so unverständlich machte, war, daß sie der einzige Kallekianer war, der sich die Spritzen nicht geben lassen wollte, der einzige auf diesem ganzen verdammten Planeten …
     
    Kallek war eine verrückte und mörderische Welt. Aufgrund der elliptischen Umlaufbahn dauerten Herbst, Winter und Frühling zusammen etwa zehn Jahre. Dies war die Zeit der gemäßigten Temperaturen. Dann folgte ein zweijähriger Sommer, in dessen Verlauf die Sonne die Oberfläche verbrannte und jedes Leben im herkömmlichen Sinn unmöglich machte. Der Kommandant des Vermessungsschiffs, das den Planeten entdeckt hatte, nannte ihn »Phoenix«. Kein anderer Name konnte zutreffender sein, vor allem, nachdem bekannt geworden war, auf welche Weise die außenmenschlichen Bewohner sich ihrer höllischen Umgebung angepaßt hatten.
    Nachdem eine erste Verständigung zustande gekommen war, mußte der Kommandant schweren Herzens das »Phoenix« aus dem Logbuch streichen und durch den Namen ersetzen, den die Planetarier selbst für ihre Welt gefunden hatten: »Kallek«. Wenige Tage später machte er eine weitere Entdeckung, die alles andere überschattete. Kallek war dem Tod geweiht. Die Umlaufbahn war keine Ellipse mehr, sondern zu einer Spirale geworden, in der der Planet langsam, aber sicher in die Sonne stürzte. Das Ende würde nicht vor dreißig Kallek-Jahren kommen, doch lange vorher würde alles Leben unmöglich geworden sein.
    Der Kommandant funkte alle Daten zur Erde und drängte darauf, daß das Büro für Außenmenschliche Edukation Kallek Priorität vor allen anderen bewohnten Welten einräumte. Zwei Jahre darauf landete ein Team von Spezialisten auf der Extremwelt.
    Rolston hatte die Anweisung, schnell zu arbeiten. Bis zum Einbruch des Sommers sollten er und seine Kollegen fertig sein, wenn die Planetenbevölkerung sich nicht noch stärker dezimieren sollte. Trotz aller Anpassung überlebten viele die Sommermonate nicht. Als das Team die Arbeit aufnahm, war es noch Frühling – zwei irdische Jahre Zeit für Rolston.
    Die Besatzung des Vermessungsschiffs hatte schon gute Vorarbeit auf dem Gebiet der sprachlichen Verständigung geleistet. Rolston, als der Linguist des Teams, hatte nur noch die letzten Barrieren beiseitezuräumen, bis auch kompliziertere Gespräche geführt werden konnten, ohne daß die Gefahr von Mißverständnissen bestand. Erst dann konnten die anderen ihre Tätigkeit aufnehmen – der Psychologe, der mit unendlicher Geduld und viel Einfühlungsvermögen das Bewußtsein der Kallekianer verändern mußte, bis diese von sich aus danach verlangten, daß auch ihre Körper umgebildet wurden, und der Arzt, der ihnen diesen Wunsch erfüllte.
    Damit wäre die Reedukation auf Kallek abgeschlossen, und kein einziger Planetarier würde zu etwas gezwungen worden sein, das er nicht selbst wollte. Rolston wußte, daß das, was das Team tat, nur zum Besten der Extraterrestrier war, dennoch fragte er sich manchmal, mit welcher Berechtigung Menschen der Erde bestimmen wollten, was gut für jene war, die anders waren. Davon abgesehen, liebte er seine Arbeit.
    Das Schiff der Techniker und Ingenieure, die mit Hilfe ihrer Roboter die riesige Kuppel am Äquator des Planeten gebaut hatten, um zu demonstrieren, daß die Menschen sich nicht vor der Sommerglut fürchteten, war mittlerweile abgeflogen. Die Kuppel war groß genug, um die gesamte Bevölkerung aufzunehmen und mit allem zu versorgen, was sie brauchte. Sie stand den Kallekianern offen, und nach kurzer Zeit erschienen die ersten Neugierigen, genossen die Kühle in ihrem Innern und probierten sogar die verschiedenen synthetischen Nahrungskonzentrate. Sie fanden schnell Vertrauen zu den Fremden aus dem Weltraum, und bald würde der Arzt mit seiner Arbeit beginnen können. Er würde nicht viel Mühe haben, denn die Kallekianer waren tatsächlich sehr menschlich.
    Die

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