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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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und machte einen weiteren Fehler. Sie sollte sich doch wenigstens mit Dr. Munsen unterhalten, schlug er vor.
    Der Arzt war verständlicherweise verärgert über Naleens beharrliche Weigerung, sich standardisieren zu lassen, zumal alle anderen Kallekianer erst dann ihre Welt verlassen würden, wenn sie sich ebenfalls bereiterklärte, und die gesetzte Frist schon um mehr als zwei Monate überzogen war. Von der Erde waren schon die ersten Mahnungen gekommen, weil das Team anderswo dringend benötigt wurde. Dementsprechend heftig waren die Vorwürfe, die er Naleen machte. Die Folgen blieben nicht aus. Die Frau, die schon bereit gewesen war, die Standardisierung an sich vollziehen zu lassen, fühlte sich zwischen ihrer Liebe zu Rolston und der wiedererwachten Angst, in etwas verwandelt zu werden, das ihr unheimlich war, hin und her gerissen. Sie wirkte verschlossen, als Rolston sie nach dem Zusammentreffen mit dem Arzt wiedersah.
    Rolston glaubte, daß sie überzeugt war, und drängte sie, sich die Spritzen endlich geben zu lassen. Ein Stein hätte mehr Einfühlungsvermögen gehabt als er.
    Naleen verlor die Beherrschung. Ihre Unsicherheit und Verzweiflung machten sich in wilden Beschimpfungen und hysterischem Gelächter Luft. Sie sei ein Monstrum in den Augen der Menschen, schrie sie Rolston an, und er wolle sie nur als ein besonderes Spielzeug bei sich haben. Überall, wo er sich mit ihr blicken ließ, würde man sie auslachen, denn die Grel -Adern würden nie ganz verschwinden – trotz der Standardisierung. Sie nannte Rolston einen Sadisten, einen Egoisten und hörte nicht auf, ihm zu sagen, wie sehr sie ihn, das Team und überhaupt alle Erdenmenschen haßte – am meisten jedoch ihn.
    »Du weißt nicht, was du redest!« entgegnete Rolston heftig. »Du bildest dir ein, etwas von Psychologie zu verstehen, nach dem wenigen, was ich dir beibrachte. Wieso begreifst du dann nicht, daß Munsen nur wütend ist, weil er wegen dir gezwungen ist, unnötig lange hierzubleiben? Er hat nichts gegen dich. Du hast ihn falsch verstanden, vielleicht willst du uns gar nicht verstehen und …«
    Naleen ließ ihn nicht ausreden. Sie wurde noch hysterischer, und schließlich verlor Rolston die Geduld. Er erkannte nicht, daß ihre Reaktion nur natürlich war – ein letztes Dampf ablassen vor der Kapitulation. Rolston verlor die Kontrolle über sich und kam erst wieder zu sich, als er in die weit aufgerissenen Augen der Frau sah. Seine Finger hatten sich in ihre Schultern gegraben, seine Hände Naleen solange geschüttelt, bis ihre Zähne aufeinanderschlugen und sie nach Luft rang. Die eigenen Worte hallten in seinen Ohren, daß er ihr die Vernunft einprügeln würde, falls sie nicht endlich von allein einsichtig würde.
    Seine Worte? Rolston wurde bleich. Er konnte Naleen gar nicht verletzen wollen. Was war aus ihm geworden? Machte das ewige Warten sie denn alle verrückt?
    Bevor Rolston benommen eine Entschuldigung murmeln konnte, riß sie sich los und rannte schreiend davon. Verzweifelt lief er hinter ihr her, denn er ahnte, was sie vorhatte.
    An der Schleuse hatte er sie fast erreicht, aber sie ließ das Schott vor ihm zufahren. Ein Bildschirm zeigte Rolston, daß sie wie besessen über den heißen Boden von der Kuppel wegrannte.
    Kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, riß Rolston einen Schutzanzug von der Wand und stieg hinein. Das alles dauerte viel zu lange. Naleen war auf dem Monitor kaum noch zu erkennen. Ihre Konturen verschwammen hinter dem Flimmern der erhitzten Luft. Als Rolston endlich draußen war, hatte sie einen Vorsprung von über hundert Metern. Er rief nach ihr und hatte Mühe, nicht über die eigenen Beine zu fallen. Der schwere, steife Anzug behinderte ihn. Es war unmöglich, Naleen einzuholen. Fast irrsinnig vor Selbstvorwürfen, sah Rolston, wie sie den Hügel erreichte, auf dem sie so oft gesessen hatten, und ihn hinauflief, bis sie, immer langsamer werdend, die nun kahle, schwarze Kuppel erreichte und dort zusammenbrach.
    Als er sie erreichte, stockte ihm der Atem. Naleen lag zusammengekrümmt auf dem glühendheißen Stein. Die Sonne brannte auf sie herab. Ihre ungeschützte Haut warf Blasen. Es war ein Bild des Grauens, und Rolston war unfähig, sich zu rühren. Naleens Hautfarbe veränderte sich. Weißer Schaum bildete sich auf ihrem Körper, bis er die ganze Gestalt einhüllte. Rolston versuchte, sie mit seinem Körper gegen die Sonnenstrahlen abzuschirmen – erfolglos. Er mußte sich zwingen, auf das

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