Das zweite Leben
ernst gemeint hatte, daß er sie liebte und bis zum Ende seines Lebens mit ihr Zusammensein wollte. Ihre Tränen waren Antwort genug.
Drei Tage lang vermieden sie es, miteinander über die Standardisierung, die inzwischen fast abgeschlossen war, zu reden. Nur wenige Kallekianer sträubten sich noch gegen die Spritzen, weil sie darauf warteten, daß Naleen ihnen ein Beispiel gab. Sie galt sehr viel unter ihren Artgenossen. Rolston überlegte fieberhaft, wie er ihr nun wirklich bewußt machen konnte, weshalb sie sich der Prozedur unterwerfen mußte.
Immer wieder erklärte er ihr den Zweck der Arbeit, die die Edukateure zu tun hatten. Dann erzählte er ihr von der Vergangenheit, soweit sie den Erdenmenschen selbst bekannt war.
Die ersten interstellaren Flüge lagen so weit zurück, daß es nicht einmal mehr Mythologien aus dieser Zeit gab. Man hatte ein Kolonisationsprogramm entwickelt, doch die damalige Raumfahrttechnik war vergleichsweise primitiv. Jahrhunderte vergingen, bis die Besatzungen der Schiffe in einem fremden Sonnensystem aus dem Tiefschlaf erwachten. Dann gab es keine Möglichkeit zur Umkehr mehr. Diejenigen, die Glück hatten, fanden einen Planeten mit günstigen Umweltbedingungen. Andere standen vor der Wahl, entweder bis zu ihrem Lebensende in ihrem Schiff zu bleiben oder sich den Verhältnissen fremder Welten anzupassen.
Und genau das taten sie, auf Hunderten von Planeten in der ganzen Galaxis.
Die Verbindung zur Heimatwelt riß ab, und es dauerte viele Jahrtausende, bis neue, bessere Schiffe von der Erde starteten, die in der Lage waren, Raum und Zeit zu überwinden.
Als die ersten Raumfahrer der neuen Generation auf der Ödwelt Widmarr Neun landeten, dauerte es lange Zeit, bis sie begriffen, daß die lebenden Pelzbälle, die sie begrüßten, Menschen waren. Und auf der Ozeanwelt Resslone lebte eine Rasse von Amphibien, die ebenfalls menschlicher Abstammung war. Es gab viele Beispiele. Manchmal war der Unterschied kaum sichtbar, aber er war da. Die Erdenmenschen hatten keine Rasse von Übermenschen, die sich aus den frühen Kolonisten entwickelt hatte, finden können. Es gab nur die anderen, menschliches Leben in vielen Formen, und man nannte sie »Außenmenschen« im Gegensatz zu den »Erdenmenschen«.
Die Verantwortlichen auf der Erde sahen die Brüder im All als latente Bedrohung an, und die Vision eines schrecklichen Krieges für den Fall, daß die Kolonistennachkommen eines Tages ebenfalls interstellare Raumfahrt betrieben, war allgegenwärtig. Doch die Menschen wollten keinen Krieg.
Standardisierung war die Antwort.
Rolston versuchte, dies Naleen klarzumachen. Standardisierung – die Eliminierung physischer und geistiger Unterschiede. Wenn jede Zivilisation über die gleichen ethischen Grundbegriffe verfügte, sollte ein Krieg ausgeschlossen sein. Jedenfalls hoffte man das. Deshalb hatte man auf der Erde ein Programm entwickelt, um jeden bewohnten Planeten in eine zweite Erde zu verwandeln – durch Beeinflussung des Klimas, ökologische Eingriffe und die Edukatoren.
Kallek allerdings bildete einen Sonderfall. Hier galt es, nicht lange zu zögern. Die Planetarier mußten standardisiert und evakuiert werden, bevor sie mit ihrer Welt untergingen. Rolston konnte nicht begreifen, weshalb Naleen sich so verbissen gegen diesen Plan wehrte. Doch sie blieb hart, auch, als er ihr zum hundertstenmal erklärte, daß er sie heiraten und sich nie mehr von trennen wollte. Er flehte sie an, endlich zur Vernunft zu kommen, und erzählte ihr immer wieder von all den Wundern der Galaxis, die sie mit ihm zusammen sehen konnte, wenn sie nur wollte. Paradiesische Planeten, phantastische Städte, all das wollte er ihr zu Füßen legen. Naleen war nicht umzustimmen. Sie liebte ihn, doch …
Als er mit seine Weisheit am Ende war, fragte Rolston den Psychologen um Rat. Jennings’ Antwort fiel nicht gerade freundlich aus.
»Naleen wäre längst standardisiert, wenn du sie mir überlassen hättest. Du hast sie unter deine Fittiche genommen und Psychologe gespielt, so kläglich, daß sie unbewußt eine Abwehrhaltung eingenommen hat. Sie will sich zu nichts zwingen lassen, und du kennst die Methoden nicht, mit denen man diese Angst nimmt. Aber bitte, du wolltest ja alles allein machen, mußtest dich in sie verlieben und hast niemand an sie herankommen lassen. Jetzt ist sie so verkrampft, daß auch ich keinen Ausweg weiß.«
Rolston bedachte Jennings mit einigen unfeinen Ausdrücken. Er suchte und fand Naleen
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