Das zweite Vaterland
Meiereien, und dann legte Ernst ein Blatt Papier auf den Tisch, das eine Zeichnung in farbigen Linien aufwies.
»He, was ist denn das? rief Jack. Etwa der Plan für die zukünftige Hauptstadt der Neuen Schweiz?
– Nein, das noch nicht, erklärte Ernst.
– Nun, dann errathe ich nicht…
– O, das ist eine Vorlage zur inneren Ausschmückung unserer Kapelle, sagte Annah.
– So ist es, Jack, bestätigte Ernst; und es war wohl an der Zeit, daran zu denken, da die Mauern schon bis zu ihrer halben Höhe aufgestiegen sind.«
Diese Erklärung machte allen eine große Freude, und Ernst wurde wegen seiner Arbeit aufrichtig gelobt.
Man fand sie ebenso vollkommen bezüglich der Eleganz wie der gesammten Anordnung.
»Bekommt sie denn auch einen Thurm? erkundigte sich Jack.
– Natürlich, versicherte Annah.
– Mit einer Glocke darin?
– Ei freilich, mit der Glocke vom »Landlord«.
– Und unserer Annah, sagte Ernst, wird die Ehre zufallen, sie zum erstenmale zu läuten!«
Bald war der 24. September und damit der Zeitpunkt herangekommen, wo der schon lange bestehende Plan Wolston’s zur Ausführung kommen sollte. Freilich wußte ja niemand, welches Ergebniß diese nähere Besichtigung des Innern der Neuen Schweiz haben werde. Seit einem Dutzend von Jahren hatten sich die Schiffbrüchigen kaum über die Grenzen des Gelobten Landes hinaus begeben, und wir wissen ja, daß dieser Landstrich für ihre Ernährung und alle sonstigen Bedürfnisse alles in reichlicher Menge lieferte. Abgesehen von der Unruhe, die ihr die Abwesenheit einiger der Ihrigen allemal verursachte, trug sich Frau Zermatt, wenn sie es auch nicht aussprach, doch mit dem Glauben, daß dieser Ausflug eher beklagenswerthe Folgen haben werde.
Als sie noch an diesem Abende dann mit ihrem Gatten im Schlafzimmer allein war, gestand Frau Zermatt diesem ihre Besorgniß unumwunden ein.
»Liebe Betsie, hielt Zermatt für rathsam, ihr zu antworten, wären wir noch in denselben Verhältnissen wie in der ersten Zeit nach unserer Hierherkunft, so würde ich Dir zustimmen, daß dieser Ausflug nicht angezeigt sei. Selbst wenn Wolston und seine Familie durch einen Schiffbruch auf unsere Insel verschlagen worden wären, würde ich zu ihnen gesagt haben: Was uns bisher genügt hat, wird auch Ihnen genügen, und es ist nicht nöthig, sich in Abenteuer zu stürzen, wenn diese keinen sicheren Nutzen versprechen und vielleicht gar mit Gefahren verknüpft sind. Die Neue Schweiz hat aber jetzt eine festgestellte geographische Lage, und im Interesse ihrer zukünftigen Colonisten erscheint es wichtig, ihre Ausdehnung, den Verlauf und die Natur ihrer Küsten kennen zu lernen und sich zu überzeugen, was sie an Hilfsquellen bietet.
– Schön, mein Lieber, recht schön, erwiderte Frau Zermatt, könnte die Lösung dieser Aufgabe aber nicht den etwaigen neuen Ankömmlingen überlassen bleiben?
– Ja freilich, mit dem Zuwarten würde nichts versäumt werden, und das Unternehmen könnte wohl unter noch besseren Verhältnissen ausgeführt werden. Du weißt aber, Betsie, daß die Sache unserem Wolston sehr am Herzen liegt, und daß auch Ernst seine Karte der Neuen Schweiz zu vervollständigen wünscht. Ich meine also, wir müssen beider Wünschen schon Rechnung tragen.
– Ich würde nichts dagegen haben, mein Lieber, antwortete Frau Zermatt, wenn das nicht wieder mit einer Trennung verknüpft wäre…
– O, es handelt sich nur um eine Abwesenheit von höchstens vierzehn Tagen.
– Ja, wenn Frau Wolston, Annah und ich noch die Fahrt mitmachen könnten…
– Das wäre unklug, liebe Frau, entgegnete Zermatt. Dieser Ausflug kann, wenn auch keine Gefahren, doch große Schwierigkeiten und Anstrengungen mit sich bringen. Es wird sich darum handeln, unter brennender Sonne über ein unfruchtbares, ödes Stück Land hinzuziehen; die Ersteigung der Bergkette dürfte auch recht beschwerlich werden.
– Also Frau Wolston, Annah und ich, wir sollen bestimmt in Felsenheim zurückbleiben?
– Jawohl, Betsie, doch ich denke Euch nicht allein zu lassen. Nach reiflicher Ueberlegung bin ich zu folgendem Entschlusse gekommen, der hoffentlich allgemeine Billigung finden wird. Wolston mag den Ausflug mit unseren zwei Söhnen unternehmen, mit Ernst, der dabei seine Aufnahmen machen wird, und mit Jack, der sich eine solche Gelegenheit, auf Entdeckungen auszuziehen, doch niemals entgehen lassen würde. Ich selbst aber gedenke in Felsenheim zu bleiben. Nun, ist Dir das recht, Betsie?
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